Mai 2024

04.05.2024 22:21

Auch wenn ich es schon viel zu oft geschrieben habe: Ich hätte einfach mal gerne mehr Zeit für die kreativen Sachen. Mich mal so richtig darein vertiefen zu können. Es war schon eine andere Sache, als ich noch Kinderfrei-Wochen hatte (ist doch aber auch schon viele, vier?Jahre her). Wann immer ich derzeit im Atelier sitze, was ich ja eigentlich doch recht oft tue, dann bin ich nicht nur stark zeitlich begrenzt, sondern ich komme auch meinen Verpflichtungen nicht nach (müsste eigentlich noch den Kühlschrank auffüllen, irgendwelche Zettel für die Schule ausfüllen – oder einfach mal zuhause sein!). Mit anderen Worten: Richtig plumpsen lassen geht nicht. Für die meisten Eltern der Normalzustand – aber ich war‘s jahrelang anders gewohnt. Allerdings bei mir ja jetzt auch so, dass da nie jemand außer mir ist, der auch mal übernehmen kann. Klar kann ich auch die Kinder einkaufen schicken (tu ich und sie machen das dann auch) und sie nehmen es mir auch überhaupt nicht krumm, wenn ich mein eigenes Ding mache, aber die letztendliche Verantwortung liegt stets ausschließlich bei mir allein. Und es ist einfach ungewohnt für mich, nicht mal einen einzigen Tag zu haben, wo ich mich nicht in irgendeiner Form kümmern muss (und sei’s, nachzuprüfen, ob die Kinder heile von einer Party nachhause gekommen sind). 
Auch habe ich nie richtig Urlaub. Nur immer mal so einen Brückentag hier und da – und da ist dann meist noch was. Weihnachten oder Ostern. Ein Geburtstag. 

Kurzer Einschub zu Ameisen, mal wieder. Angeblich ist es so, dass in einem Ameisenvolk 40% der Ameisen eher faul sind. Also die sitzen manchmal einfach nur so rum und machen nichts, so lange, bis eine bestimmte Tätigkeit wirklich nötig wird. Die anderen 60% sind ständig am Rumackern. War nur eine Kolumne, wo ich das las. Die Autorin berichtete kurz davon und bezog es sogleich auf menschliches Verhalten. Und beschrieb sich selbst zugehörig zu den 60%: ständig muss sie irgendwas TUN. Ausgemacht an dem Beispiel des Eisfach-Abtauens: Anders als sie selbst, würde ihre Mitbewohnerin nie auf die Idee kommen, das Eisfach abzutauen, solange da zumindest noch ein kleiner Schlitz übrig ist für eine Tiefkühlpizza*. Die Theorie: Es braucht diese 40% Faulen, damit da ein Stock an Ausgeruhten ist, die im Notfall die Aufgaben der, oder einzelner Überlasteter, übernehmen können. Denn wenn immer alle ständig am Rummachen wären, dann könnte es ja theoretisch zu einem Totalkollaps kommen (alle klappen gleichzeitig überlastet zusammen und niemand kann übernehmen). Klar könnte man auf den Gedanken kommen, dass es ja auch schlau wäre, würden alle in Teilzeit arbeiten.

Tiere. Hast du gestern auch von diesem Orang-Utan gehört, der Lilianenblätter zerkaute und sich den Brei auf eine Wunde schmierte, sich also medizinisch behandelte? Ich habe da heute mit Thies drüber geredet und versucht herauszufinden, was GENAU ich daran eigentlich erstaunlich finde bzw. welche Fragen das aufwirft. Dass ein Orang-Utan tut, was auch Menschen tun: keine Nachricht, die mich erstaunt. Mich interessierte daran eher, wie Affe oder Mensch eigentlich weiß, welche Pflanzen welche Wirkung haben. (Jetzt ausgenommen der ‚moderne‘ Mensch, dem ein Chemielabor zur Verfügung steht). Also, ich hab mich schon ganz oft gefragt, wie (vormoderne) Menschen eigentlich die Wirkung von Pflanzen (als Heilmittel) herausgefunden haben. Klar könnte man an Zufälle denken. Also diese oder jene Pflanze mal gekaut, ist zufällig was an der Backe hängengeblieben, wo zufällig eine Wunde war, und schwups ist besser abgeheilt und hey! Andere sehen das, machen es nach und dann schreibt sich das Wissen irgendwann in die Gene…Wenn es um Zeiträume von hunderttausenden Jahren geht, dann erscheint es plausibel, dass das Wissen um die Wirkung bestimmter Pflanzen schlicht durch Zufälle herausgefunden wurde. Trotzdem überzeugt mich das irgendwie nicht. Warum? Weil es schlicht zu viele Pflanzen gibt? Ist die Anzahl der Jahre, in denen Primaten durch den Wald streiften und Kontakt mit Pflanzen hatten, größer oder kleiner als die Anzahl von Pflanzen? Könnte man sich fragen. Ohne, dass ich das beantworten könnte, erscheint es mir gefühlt aber so, dass die Jahre nicht ausreichen, um jede Pflanze darauf zu testen, welche Wirkung sie hat. Bzw.: Davon ausgehend, dass erste Primaten sich eher nicht strategisch an die Erforschung machten, sondern es Zufälle brauchte, um Wirkungen ‚herauszufinden‘, dann kommt das alles nicht für mich hin, zeittechnisch.

Thies meinte: Also ich glaube, dass es um Kontakt geht. Zwischen Pflanzen und Menschen (bzw. Primaten). Dass irgendwie ‚gefühlt‘ wird, was eine Pflanze macht und kann. 

Bei diesem Orang-Utan Ding interessierte mich auch noch: Wenn es denn so war, dass sich dieses eine Tier die medizinische Versorgung gar nicht von Mutter, Vater oder sonst wem abgeguckt haben konnte (weil im Zoo lebend, und zumindest hatte dort kein Mensch je dieses Verhalten bei diesen Tieren beobachtet, trotz einer Art Dauerbeobachtung), dann musste das ‚Wissen‘ ja einfach vorhanden gewesen sein, schon abgespeichert im Stammhirn. Und das ist vielleicht, was das Ganze zu einer Nachricht machte: Dass das Wissen um Pflanzenwirkungen nicht unbedingt die Sorte Intellekt benötigt, den nur wir Menschen uns zuschreiben.

*Steffen erzählte mir neulich von einem Kumpel von ihm, der einen Keller hat, wo eine Eistruhe drinsteht, die komplett zugefroren ist mit, ja, Eis. Wie diese kleinen Eisfächer von Kühlschränken, wo nur noch ein kleiner Schlitz ist für Pizzen, gab es darin ein paar Löcher für Schnapsflaschen. Also viele Kubik reines Eis mit ein paar Löchern, wodrin Schnapsflaschen. Ist doch ein schönes Bild. 

KR

05.05.2024 18:33

Geh ich gleich zu Frieders Geburtstagsfeier, der wo bei meiner letzten die Drinks gemacht hatte, er lädt ins Restaurant. Ich kenne seine Freunde eigentlich kaum, fand sie auf seinen Feiern meist etwas hölzern, anämische Ingenieure und Techniker. Freu mich trotzdem. 

-pb

06.05.2024 15:33

Bin gerade in einem Shoppingcenter in Rostock.
Steffen hat mich mitgenommen (Lederjackenverkauf). Habe mir zwei Tage Urlaub dafür genommen. Musste mal raus. Hier ist man so schön zum Nichtstun verdammt. Tut gut. Na, ein paar Fotos hab ich gemacht, dachte eigentlich, dass das hier nicht geht…

KR

09.05.2024 17:41

Wenn ich mir jetzt nochmal die Fotos angucke, da aus dem Shoppingcenter, wo ich die Leute fotografiert habe, wie sie die Rolltreppe hoch- und wieder runterfahren. Es waren so viele Eltern mit ihren Kindern, und immer kamen diese Eltern/Kind-Paare unten aus der Tiefgarage hoch zum Einkaufen und fuhren kurze Zeit später die Rolltreppe wieder runter. Manche der Kinder waren noch jung, manche aber auch 40 oder älter. Da ist für meinen Geschmack so eine Schönheit drin, wie die da hoch- und wieder runterfahren. Kannst du jetzt natürlicherweise nichts zu sagen, weil du nicht alle Fotos gesehen hast. Aber die erzählen was, und zwar übers Eltern und Kind sein.

KR

10.05.2024 17:35

Hier läuft zum zweiten Mal The Cure, Head on the door (full album).

Ich bin alleine, das ist komisch. Ich bin nie alleine, jetzt habe ich frei, von gestern früh bis Sonntag Abend. Ein paar Stunden HO, davor musste ich auskatern weil ich gestern Abend auf Björns Terrasse drei (3) Biere getrunken hatte. Vorher war ich den ganzen Tag mit Einsamsein beschäftigt, ein schmales klebriges schwarzes Loch, auf einmal kein Außengewicht mehr da, was mich in gleichmäßiger Schwingung halten könnte. Wie gesagt, ich bin sonst nie alleine. Losrennen, Menschensuchen muss ich nicht, na gut, musste ich doch, hatte kurz versucht, eine Ex warm zu machen, Panik, ich brauch was zum Festhalten, sie hat zum Glück die Kinder und vermutlich fand sie es auch etwas schräg (oder hat noch zu viele Gefühle, was auch sein kann, muss ich zu meiner Rettung hinzufügen), also doch warten bis es angekommen ist, das Wohlgefühl der Alleinseinkeit, denn das ist es was ich eigentlich will. Mach ich mir doch gleich mal eine Musik an.

Björn hat sich mit seinem Erbe eine Neubauwohnung gekauft, gleich bei seiner alten Wohnung gegenüber, er kann immer noch einfach mit Handtuch und Badehose über die Straße in den See wenn er will, hat dem Rohbau beim Wachsen zugeschaut, und vor kurzem ist er eingezogen, vier Stockwerke, oben in die schicke Terrassen Dachwohnung, 63 qm klein, aber er hat auch nur noch ein kleineres Kind mitwohnend, das andere (Teen) will vermutlich eher mit Freundinnen vorbeikommen wenn er nicht da ist. Unten im Haus noch die hölzernen Bautüren, jeder kann rein, Treppenhaus alles Rohbau Beton ungestrichen, dunkel mit dem kaltfeuchten Geruch, außer ihm und einer anderen Partei wohnt auch noch keiner drin. Suburbia 2.0, kehren wir am Ende doch alle zurück wohin wir gekommen sind (und vor allem, jetzt schon?). Neubau, Platte modern (dass es eine Platte ist sieht man nicht mehr). Leider saßen wir nicht auf der Seite zum großen Innenhof mit den alten Platten drumherum, in deren Mitte das mondäne Mehrfamilienjuwel reingezimmert wurde, dort hätten mich bestimmt einige the-days-my-friend-Gefühle beschlichen. Vorne raus (eigentlich hat er zwei schmale Terrassen, eine nach hinten, eine nach vorne), auf der anderen Straßenseite ist die Feuerwache mit ihren großen roten Toren aus denen gleich die Autos rollen wenn der Alarm kommt, auch das für Björn eine Rückbindung, hatte er doch Nachwende lange in der Oderberger gewohnt, aus Westberlin rübergemacht, dahin wo es passierte. Und jetzt, was machen er? Warum nicht vorwärts?

Irgendwie geht es seit geraumer Zeit schwerpunktmäßig nur noch ums Geld, als wäre das der sichere Boden. Erzählt, was er hierfür, was dafür gekriegt hat, was sein Auto erstaunlicherweise kosten würde (Wertsteigerung!), alles in Eurobeträgen geschildert, wie nett sein persönlicher Bankberater ist, wie professionell der Bau ablief, tadellos, so nett der Bauleiter, der Bauherr, Qualitätsmenschen, undsoweiter, oft in bedeutungsvollem, endgültigkeitsähnlichen Duktus als rede er über die frisch erworbene Grablege. Björn, wo bist du, wo willst du hin? Als sein Freund muss ich es ihm nächstens deutlich sagen – dass ich mir Sorgen mache. Und, als wenn wir nichts anderes zu reden hätten.

-pb

12.05.2024 00:07

Hab mir vorhin tatsächlich einen Whisky Cola eingegossen. Zusammengerechnet vielleicht fünf Zentimeter in einem ziemlich schmalen Glas. Mangels Training  hatte ich umgehend einen drin, da wurde es auch gleich lustig. Heute Nachmittag hatte ich noch den Depri-Hut auf und nichts wollte mir gefallen.

Morgen Nachmittag würde bei mir passen, um Zehn will ich zum Sport und dann noch Auto waschen, ist schon wieder zwei Jahre her, aber so ab Drei sollte ich wieder hier sein. Wie sieht es da bei dir aus? Um Fünf wollte ich das Kochen anfangen, bevor dann ALLE wieder hier sind.

-pb

12.05.2024 13:15

Fingernagelhochklappend solche Leute, die ständig darüber reden, wie toll sie ihr Geld angelegt haben. Kenn ich von Claus. Vor allem die Wertsteigerung seiner Eigenmswohnung erwähnt er extrem gerne. Richtig nervig wird es aber nur dadurch, dass ich das ständig mit ‚Haste toll gemacht‘ kommentieren soll.

Fallen mir gerade die Schwiegereltern ein. Die haben ihr eines Haus in Portugal (das ‚Anwesen‘ oben auf dem Berg) des Öfteren in Zeitungen inseriert, zum Verkauf. Wollten es aber gar nicht verkaufen, nur gucken, ob sie es zu dem Preis loswerden würden, von dem sie dachten, dass er angemessen sei, bzw. ob vielleicht sogar noch mehr ginge? Und dann potentielle Käufer*innen, die vorbeikommen und sagen: Oh wie schön. Wie schön das alles ist. So schön ist es hier. Aber bestimmt können wir uns das nicht leisten. Ja, genau. 

Stolz auf was sein und darüber reden wollen.
Denke gerade daran, dass Alleinerziehende nicht selten zu eher unliebsamen Freund*innen werden, wenn sie ständig in Kleinstdetails von ihrem Kind/Kindern erzählen, weil der andere Elternteil fehlt, die Person, die ja nun wirklich nichts dagegen hat, zum zehnten Mal über den minnigsten Entwicklungsschritt zu sprechen. Zuhören ohne zuzuhören. Simulation von Interesse. 
Genau wie wenn dir jemand im klitzekleinsten Detail von seinen Aktienanlagen oder sonstigen Wertanlagen erzählt und von dem Stolz, wie gut sich das alles entwickelt. Aber wenn du selber nichts anlegelegt hast, weil du nie einen Cent dafür übrig hattest, sagst du dann auch so: Ja schön, echt toll. Gut gemacht! Ich kanns fühlen, wie stolz du dich fühlst. Aber gedacht: Können wir jetzt mal über was anderes reden? Oder zumindest in dem Thema etwas finden, das auch meine Lebensrealität mit einschliesst?

KR

12.05.2024 21:20

Heute schaffe ich es nicht mehr, aber die Woche komme ich bestimmt wieder dazu. Wir werden hier räumen, es steht schon wieder alles voll, und am Samstag geht es bis Montag nach Stralsund. Bisschen Strand und die Füße ins Wasser. Mittwoch bis Freitag geht Karo auf ihre ersten Klassenfahrt, Hochspannung, sie ist ja so ein Rookie und kriegt immer schnell Ärger. Hoffentlich muss ich sie nicht abholen, wobei eine Stunde mit dem Auto alleine über’s Land nach Brandenburg klingt irgendwie auch nicht schlecht.

Meine Freundin Mari hat mir geschrieben, ihre Chefin habe schon mal heimlich in ihrer Abwesenheit ihr Büro durchsucht. Sie müsse „Stichproben“ nehmen, das sei ihre Aufgabe als Leitung. In Teamsitzungen würde sie schon auch mal vor allen das Weinen anfangen. Anscheinend geht es immer noch schlimmer. Was stimmt nicht mit denen? 

-pb

15.05.2024 10:49

Claus ist heute unterwegs. Arbeiten wir morgen wieder zusammen. Er bekommt derzeit sehr viel Druck von oben und gerät dadurch in eine Art Tunnel. Vorne ist das Licht auf das er zustrebt. Dieses Licht ist seine Wiederherstellung (wieder der tolle Macher sein). Bis zur Wiederherstellung seiner für ihn einzig möglichen Daseinsform (erfolgreicher Macher, der nur Lob bekommt), kann er anscheinend nichts mehr von außen wahrnehmen. Das nimmt sich für mich dann so aus, dass ich ihm bei seinen Überlegungen zur Wiederherstellung zuhören muss. Und die sind das, was Menschen normalerweise im Innern mit sich selbst aushandeln. Mehr als ein ‚Stimmt, find ich auch‘, braucht er aber nicht von mir. So sage ich dann: Stimmt, wäre das Beste, wenn du dir einen neuen Job suchst. Drei Minuten später: Stimmt, wäre besser, wenn du den Job behältst. Wenn ich dazu noch einen weiteren Satz ablasse, hört er schon nicht mehr zu – guckt befremdlich starr nach vorne und reagiert nicht mehr. Sagt dann aber 10 Sekunden später irgendwas Neues, wo ich dann auch wieder mit ‚Stimmt, ja, du hast Recht‘ antworten muss. Also das verlangt er.
Das Einzige, was er sonst von mir wissen will, ist, wem es aus meiner Familie und von meinen Freunden gerade schlecht geht. As if ich ihm jemals wieder irgendwas davon erzählen würde.
Ein Kumpel gab mir neulich den, wie ich finde, sehr witzigen Tipp, doch eine fiktive Freundin zu erfinden, der es total schlecht geht. Um damit Claus‘ immenses Verlangen nach schlechten Nachrichten aus meinem Leben zu befriedigen.

KR

20.05.2024 23:32

So also, Stralsund. In Devin ist gleich die Jugendherberge, anders als letztes Mal hatten wir eigenes Bad und WC, dafür war das Zimmer so klein, dass wenn zwei in den Stockbetten waren, eine:r sich in der Mitte des Raumes um sich selbst drehen konnte. Super oldschool. Dafür (im Stehen) Blick aufs Wasser und Dänholm, den flachen Deich gleich hinter dem Haus. Summa summarum wirklich schön, das Wetter war total auf unserer Seite. Flach gestreckt schwamm ich im knietiefen Wasser. Und erstaunlich wenig los, man konnte am Strand die Menschen einzeln zählen, drei junge Männer, hart, ostig aussehend, ich guckte gleich mal in die andere Richtung, hörten zum Kiffen supersoften Pop. Eine Frau in geschmackvollen, wehendem Rotbraun Ton in Ton (passend zur Haarfarbe), sie sah ein bisschen so aus, als ob sie sich in der Astrologie findet und vielfarbige Mineralien mit heilenden Eigenschaften auf dem Fensterbrett hat, spazierte mit ihrer Katze an der Leine durch den Sand, ein bildschönes Tier, wie ein Ozelot gepunktet mit verrückt hellen, gelbgrünen Augen.

Normalerweise sind in den Jugendherbergen immer die Radwander-Pärchen und -Loner, dazu die woken Patagonia-Kleinfamilien mit ihren Lukassen und Helens, also die bürgerliche Mitte in Outdoorklamotten, wo man sich auch drin finden kann (weiss ja niemand, dass man nebenbei im Multiversum als kaputtes U-Boot unterwegs ist), dann noch ein gewisser Anteil Milieu, sprich adipöse Atzen mit ihren Ricos und Chantalles. Die sieht man sonst im Alltag nicht so gebündelt und rausgestellt, bei uns zuhause gleich gar nicht. Dieses Mal gab es dazu noch eine große Reisegruppe an geistig und körperlich beeinträchtigten Menschen unterschiedlichen Alters mit ihren Betreuer:innen, bestimmt 20 an der Zahl, den Frühstücksraum zu 1/4 füllend. Auffällig mit ihren weichen, runden Gesichtern, Kehlgeräusche machend, unförmige Jogginghosen an unförmigen Körpern. Reagierten nicht, wenn eine vom Staff ihnen sagt, sie dürften hier drin nicht barfuß rumlaufen, einige trugen auch Leder-Kopfschutz, damit sie sich nicht aus versehen verletzen. Natürlich hat man die gleich lieb, das geht mir immer so, ich könnte sie knuddeln und hätte ich sieben Leben, ich würde ihnen eins widmen. Was aber dieses Mal krass war: es gab keine stabile Gesamtmischung, kaum Patagonia und Radler, nur eine Riesenmenge Atz:innen, ein hoher Anteil massives Übergewicht in kik-Klamotten. Lief mal eine schlankere Jung-Atzin dazwischen, dann war da die Gewissheit, dass sie eben NOCH NICHT übergewichtig ist, ihr Weg aber schon vorbestimmt in der Herde, im Namen des Herrn, Amen. Draußen haben sie auch noch in Kleingruppen getrunken und gelärmt, Saufen ist heutzutage Ok in den meisten Jugendherbergen (während das Rauchverbot peinlich eingehalten wird).

Diese Leute, wahlberechtigt, in dieser Masse, da tränten mir morgens um Acht schon die Augen, meine Sinne verschwammen, der Saal dichtgeballert mit umherfliegenden, permanent über Gelaber in den Raum gefeuerten, kleingehackten oder ultraslowen Gehirnwellen, denen ich dauernd ausgesetzt war, und suchte mein Blick verzweifelt irgendwie halbwegs normale Gesichter, lief bestimmt einer aus der Beeinträchtigtengruppe ins Bild. Ich erinnerte mich daran, dass ich viele Jahre meines Lebens unter permanentem Lärm auf Baustellen verbracht hatte und nutzte die damals erworbene Fähigkeit, den Krach auszublenden. Abschotten soweit möglich, es ging, war aber harte Arbeit. Karo war es eins, die kennt das Bohei aus der Schule und den Kindern sind ja alle Menschen irgendwie nur Menschen, aber die Frau, noch wesentlich sozialsensibler als ich, kriegte Zustände am Rande des Nervenzusammenbruchs. Humor half, das ist ja wenn man trotzdem lacht, haha. Wir erfanden dann das Lied „Speisesaal“, bestehend nur aus dem Refrain-Wort „Speisesaal“, tonlos gedehnt runtergeleiert als wär man selber schon irre, infiziert durch die fliegenden Gehirnwellen, die man nicht hat abwehren können, die irgendwie den Weg ins eigene Gehirn gefunden haben.

„Speisesaal“ sangen wir dann öfters, weil auch unterwegs, zum Beispiel beim Essen im „Störtebecker“, am Nebentisch drei Generationen Übergewicht beim FRESSEN, der kahlköpfige 150 Kilo Papa mit Maurerdecolleté hatte sogar einen Salat für alle in die Mitte bestellt, zwischen die Biere, die Haxen, den Lachsburger, die Rippchen, nur um sich selber (keine:r wollte den Salat) die unter Grünzeug versteckten Massen an Käse rauszufischen, oder an den fußballfeldgroßen Touriparkplätzen zu den Rügener Klippen, überall war dieses Unmaß an OBESITY und ADIPOSITAS und GELABER. Mario-Barth-Fanclubs auf großer Fahrt, epidemisch. Wir freuten uns also jedes Mal, wenn wir dünne Leute sahen, asiatische Tourist:innen, Oldies denen Fressen und Saufen bedeutlungslos geworden war, Normalos. Arroganz? Ich bitte sie. Selbsterhaltung schon eher. Die nackte Angst, abzurutschen. Wir haben uns im „Störtebecker“ auch nicht zurückgehalten, Schnitzel, Burger, Spagetti rot, das alkoholfreie Weizen aus der Hausbrauerei. Hab Schweissausbrüche gekriegt nachts, Albdrücken quasi von dem ganzen fetten Essen. Aber war lecker.

Dann hatten wir noch eine kleine Lustigkeit, als ich beim Frühstück im Krachsaal meinte, ich hätte Schwierigkeiten, die Milieupiepel und die Behindis auseinanderzuhalten, mir würde schon alles unterschiedlos verschwimmen, und wegen des Lärms kam auf der anderen Tischseite nicht alles an, die Frau verstand, ich hätte Probleme, Millionäre und Behindis auseinanderzuhalten und so sprachen wir eine Weile über Milieu und Millionäre und deren Schnittmenge zu den Behindis, bevor wir es dann merkten. Furzkomisch war das, wirklich.

Die letzte Klatsche gab es heute Mittag beim Baden im Hanse Dom. Das ist ein wirklich tolles Schwimmbad, falls ihr nochmal in die Verlegenheit kommt, wirklich phantasievoll, die Plastepalmen, das Irgendwie-Inka-Felsenambiente, die wirklich vielen Möglichkeiten, die ganzen Becken und Rutschen, Familienticket für nur 45 die vier Stunden (kürzer geht nicht) und am Ende schien es nicht mal zu viel. Hier wieder Mario-Barth-Fanclubs und in Badesachen gekleidet sieht man erst, wie fett auch die Kinder schon alle sind. Ein Glück bin ich auch eher stattlich und tätowiert, gestatten, Einar von Euch.

-pb

DI 21.05.2024 22:42

Hansedom: Ja, da waren wir auch mal, als wir in den Herbstferien in Stralsund waren und draußen baden nicht ging. Ich verbringe unglaublich gerne Zeit in Spaßbädern. Ich mag einfach warmes Wasser und warme Luft. Die Bäder dürfen auch kitschig eingerichtet sein, hab ich gar nichts dagegen. Wobei geschmackvoll auch toll ist. Geschmackvolle Orte bergen für mich allerdings die Gefahr, dass dort ich zum Betrachtungsobjekt werde, weil ich keinen tollen Bademantel habe und auch keine gemachten Fuß- und Fingernägel.

KR

22.05.2024 21:25

Heute bei der Arbeit habe ich einen Artikel auf ZON über Jenny Erpenbeck gelesen und mir dann eine Leseprobe ihres gerade ausgezeichneten Buchs (Kairos) als PDF heruntergeladen (von der Verlagsseite). Den Prolog habe ich übersprungen und beim ersten Kapitel angefangen und bis zu der Seite gelesen, wo die Leseprobe aufhört. Danach noch den Prolog. Ich hatte Zeit dafür, bzw. lesen war möglich, weil Claus gerade in einem online meeting war und nicht mit mir redete.
Was ich da gelesen habe hat mir sehr gefallen. Normalerweise hole ich mir einen ersten Eindruck, indem ich Absätze nur anlese und dann weiterscrolle (oder blättere). Das ist hier nicht passiert, weil ich mich gleich vereinnahmt fühlte. Manche schaffen es einfach, dass man die beschrieben Szenen vor sich sieht, wie als schaute man einen Film.
Wenige aber prägnante, gut eingesetzte Details (und die Gedanken der Protagonisten, wenn denn interessant) führen dazu, dass dein Gehirn sofort auf Autovervollständigung geht und du, weil du nicht abgelenkt wirst durch nervige Kleinstbeschreibungen, sofort drin bist, in dem Leben der beschriebenen Leute.

Ganz am Anfang des erstens Kapitels bedient sich Erpenbeck einer kleinen Konstruktion (mir steht leider kein Wortschatz zu Verfügung in Bezug auf literarische Vorgehensweisen. Manchmal nervig, dieses Unwissen, würde schon gerne auf Begriffe zurückgreifen können, die sofort klar machen, was ich meine, anstatt alles länglich und auch ungenau zu beschreiben – also lasse ich das hier…). Was ich nur sagen will: Falls du auch mal reinliest: nicht davon abturnen lassen, also von diesen ersten Seiten, bei denen man denkt, dass die Autorin sie erst am Ende ihrer Schreibarbeit in diese Form geführt hat, weil ihr das eventuell besonders schön und passend vorkam. Auf den folgenden Seiten ist alles ganz ’normal‘ und das hat mich gefreut, denn zu viel overbrain (Guck mal, wie schlau ich das hingebastelt habe), schiebt mir dann immer zu sehr den*die Autor*in den Vordergrund. Selbst wenn sich der ‚Kniff‘ eigentlich gut einfügt. Aber ich sag mal: Sobald du etwas als ‚Kniff‘ wahrnimmst, ist es eigentlich auch schon scheiße. Aber das war da in der Leseprobe auch die einzige Stelle, und da sie nicht besonders lang ist, empfand ich das nicht als Problem. Schön fand ich diese vielen eingestreuten Kleinigkeiten, wie z.B. die Beschreibung eines Fotos ….‘ eine schöne Frau auf einer Hollywoodschaukel, wahrscheinlich seine Ehefrau, sie lacht den Fotografen an, der vielleicht er, Hans, also ihr Mann war, aber durch die Ewigkeit des Bildes hindurch lacht sie nun jeden an, der das Foto sieht, auch sie, die Besucherin ihres Mannes.‘

Denke gerade daran, dass du mir vor sehr vielen Jahren mal ‚Die Wellen‘ empfohlen hast. Ich habe mir das Buch gekauft, es aber nie in Gänze durchgelesen, eben aus dem Grund, weil mir das Konstruierte daran nicht gefiel. Das hinderte mich daran, in einen Sog zu kommen – wobei die Konstruktion nun doch genau darauf wahrscheinlich aus war: einen Fluss entstehen zu lassen. Hat aber nicht geklappt bei mir. Mir war das zu manieriert und ich fühlte mich gequält durch den durchscheinenden Willen der Autorin, etwas Außergewöhnliches, so noch nicht da Gewesenes zu erschaffen. Aber eventuell traf mich das Buch auch einfach zur falschen Zeit. Ich werde es mir nochmal zur Brust nehmen.

Gestern um 16 Uhr hatte Claus keinen Bock mehr auf Arbeit und meinte: Lass uns in die Innenstadt, ich will mir bei Saturn eine neue Computertastatur kaufen. Geschenkt, dass er kurz davor den Anruf von Thies mitbekommen hatte: Hier ist kein Essen und ich hab auch kein Geld. Meine Arbeitszeit geht nun mal bis 17 Uhr und wenn ich es nicht schaffe, für meine Kinder ordentlich vorzuplanen ist das (fair enough) unser Problem. Bis 17 Uhr kann Claus mit mir tun und lassen, wonach ihm der Sinn steht. Also auch Einkaufen gehen. Ich meinte: Aber bitte kauf dir jetzt wirklich die Tastatur, die du brauchst, die, die am besten für dich geeignet ist. Und lass dich nicht durch Sonderangebote korrumpieren.
Als er bei Saturn (ist jetzt aber Media Markt) auf den Tastaturen rumdrückte und ich ihm dabei zuguckte, tippte er (und begleitete das mit Worten): Kader ist blöd. Weil ich schon wusste, dass ich das witzig finden sollte, ging ich weg, aber hörte noch: Kader ist blöd, haha! Und ich sah noch im Augenwinkel, wie er zu mir guckte. Ich ignorierte das und entfernte mich weiter. Hast du das gehört?! rief er mir hinterher. Als ich nicht antwortete, rief er nochmals: Hast du das gehört? Um zu verhindern, dass er durch den ganzen Media Markt rufen würde: Ich habe ‚Kader ist blöd‘ getippt, sagte ich nur kurz, von recht weit weg schon: Ja, hab ich gehört, aber ich muss hier mal….Und habe einen gerade zufällig anwesenden Verkäufer darauf angesprochen, wo denn nun eigentlich neuerdings die Thermomixer stehen. Und Claus wäre nicht Claus, wenn er das nicht aufgeschnappt hätte. Später meinte er zu mir: Aber ich schenke dir zum Geburtstag jetzt keinen Thermomixer.

22:32
PS: Weil der Besuch im Media Markt um 16:40 abgeschlossen war (Claus sich übrigens eine ordentliche Tastatur gekauft hat, durch mein immer wieder gutes Zureden, also dass er sich aufgrund seiner Fleißigkeit doch auch ein teures Modell leisten dürfte, ihm das zustünde) und noch 20 Minuten übrig bis zu meinem Dienstschluss, schlug Claus vor, noch einen Kaffee trinken zu gehen. Und zwar in ein Café gegenüber vom Media Markt, also vorm Bahnhof. Claus ging rein und zum Tresen, kam wieder zu mir raus und sagte: Also nee, ich bezahl jetzt keine 6 Euro für einen Kaffee. Nee, klar, meinte ich, das geht natürlich nicht. Ging dann aber selber noch kurz in den Laden und guckte auf die Tafel: Der Cappucino kostete 4 Euro 20. Wieder draußen lächelte ich Claus an und sagte: Na, da hast du jetzt 1 euro 80 hinzugeschummelt. Aber ich gebe dir natürlich Recht: Ist ein no-go Preis. Aber wo gehen wir jetzt hin? Er schlug vor, Richtung Oper zu gehen. Und meine Laune sofort völlig down, weil ich wusste, dass es zu einer Überschreitung meiner Arbeitszeit kommen würde, denn allein der Weg zur Oper braucht schon zehn Minuten. Auch muss er sich im Klaren darüber gewesen sein, dass es Nähe Oper sicherlich auch keinen niederpreisigeren Kaffee geben würde. Nur konnte er dann nicht mehr zurück, also von dem Plan abweichen, ein günstigereres Café zu finden. Und ich zu höflich, wie immer, ihn darauf hinzuweisen, dass, egal wofür er sich entschiede, es nicht billiger werden würde, weil Innenstadt. Wobei auch eine Spur Sadismus in meinem Nichts-Sagen gelegen haben mochte. Denn schließlich war ihm klar, dass er sich verrannt hatte und er wusste sicherlich auch, dass ich das wusste. Und er weiß auch, dass am Ende immer ein Kommentar von mir folgt.

Gut, saßen wir dann schlussendlich bei Kreipe, nähe Oper, wo Selbstbedienung ist. Er ging rein und holte (und bezahlte) die beiden Capuccini und war sicherlich froh, dass ich nicht mit reingekommen war, denn da kostet der Cappuccino 4,90. Das weiß ich, weil ich da öfter mit meiner Mutter bin. Tranken wir unseren Kaffee und Claus erzählte über Iran und Aserbajdschan und über alles möglich Exotische und guckte dabei aber nicht mich an, sondern guckte hinter mich, ständig. Drehte ich mich irgendwann um und sah, dass da ein Mann saß, der ähnlich alt wie Claus war – und ein überaus nobel aussehnender Typ. Ach so, Pimmelerzählungen. Ich habe meinen Cappuccino ausgetrunken und meinte: Jetzt muss ich aber mal los, Kinder warten auf mich.
Vielleicht, weil er froh war, dass ich ihn nicht gefragt hatte, was der Cappuccino gekostet hatte, stand er sofort auf, sagte aber: Lass uns noch zusammen bis zum Kröpcke gehen, sonst bin ich doch so einsam. Bist du, dachte ich.

KR

23.05.2024 08:45

Ja, Jenny Erpenbeck. Ich habe hier „Aller Tage Abend“ und „Die Geschichte vom alten Kind“ (eher eine Kurzgeschichte), ich finde sie wirklich gut, also wenn ich wen aktuelles empfehlen müsste – außer dass sie grade so den Megahype hat, was einen ja immer so neidisch macht – diese Sprache, ich würde ungefähr dasselbe sagen wie du. 

„Aller Tage Abend“ konnte ich irgendwie nicht durchlesen, es beschleicht mich zu sehr, das ist natürlich gut, wenn was zu intensiv ist, dann weiss man hier liegt ein Hase im Pfeffer aber man kennt ihn noch nicht. Es hat mich förmlich rein gesogen, wie geil ist das denn dachte ich, Oh Gott diese Sprache, diese Bilder, es ging mir dann aber eben zu nah und ich hörte wieder auf. Warum? Da kann ich jetzt nur spekulieren. Wieder Pogrome und das sog. Dritte Reich und seine transgenerational weitergegebenen Traumata. Danke aber Neindanke. Eines Tages lese ich es bestimmt bis zum Ende.

„Die Wellen“, in einer Top 10 wäre es immer noch drin. Vor einiger Zeit habe ich auch versucht, es wieder zu lesen, das ging gar nicht mehr. Viel zu anstrengend, zu schachtelig, was will die denn jetzt, muss ich? Wie der ewigkeitsähnliche Rainald Goetz, man braucht den Willen zur Selbstverletzung oder will grade die ganz harten Körner kauen.

Wenn ich mir vor Augen halte, was ich mal für Musik gehört habe, verdichtet, vertrackt, verschachtelt, unglaublich anstrengend, Klapse und hypermanisch, das ginge heute keine fünf Sekunden mehr. Zeitlich nach der rational unverstehbaren Hyperkomplexität, die Jahre des puren Krachs, Geräusch, so entspannend und bereits in Richtung Mediation. Heute eben Stille (und Meditation). Ich mag Songs, Songs sind wie Gesichter, immer gleich und immer anders, aber eigentlich höre ich kaum noch Musik. 

Ein anderes Buch ging nach langer Zeit erneut rein wie das heisse Messer in die Butter, Agota Kristof hatte es wohl auf Französisch geschrieben als sie noch nicht so richtig Französisch konnte (so die Story), und deswegen alles in leichte Sprache gepackt, was aber passt wie Arsch auf Eimer, ist es doch aus der Perspektive von zwei Kindern erzählt, „Das große Heft“.

Manchmal gibt es Leute, die sind so gut, dann tun sie auch noch das Richtige, und sind auch noch erfolgreich damit. Zum Beispiel Chris Kraus. Die Schwiegermutter hatte Kontakt zu ihm aufgenommen, weil ihr realer Vater in seinem „Das kalte Blut“ auftaucht, wir erinnern uns, der Aufbau des dt. Geheimdienstes nach dem sog. Dritten Reich, alles voll mit Nazis, Organisation Gehlen, dabei/daneben noch die Geheimnazis, Operation Gladio, Staybehind, Agentenfilm und aber ganz und gar WAHR und der Großvater mittendrin, er war schon Jahre vorher abgetaucht in die falsche Identität, vorher SS Elite, Träger des Totenkopfrings und davon gab es ja nur 1500 Stück für die dicken Fische, wie ich in der Familienchronik nachlesen konnte (wo ist der Ring eigentlich hin). Wenn man denkt, dass das schon ausreicht an Fiktion die aber eigentlich Wahrheit ist, dann stellte sich also im Telefonat der Schwiegermutter mit Chris Kraus heraus, dass die ganze! völlig! absurde! Hauptgeschichte in „Das kalte Blut“ auch noch komplett wahr ist. Wobei ich vermute, dass Chris Kraus den Hippie dazu erfunden hat, der wehrlos im Krankenhaus im Nebenbett des Nazis‘ Geschichte erzählt bekommt („weisst du, mein lieber Swami..“), und ihm platzt literally langsam aber sicher der Kopf, so haarsträubend ist das alles. 

Manchmal, wenn die Frau irgendwie einen kurzen Höhenflug hat, dann zieh ich sie gerne auf, „einmal Elite, immer Elite“. Sehr lustig, Haha. Es ist alles noch so nah, wenn man ehrlich ist, was sind schon 90 Jahre.

Nein, also Erpenbeck und Kraus zähle ich ja nicht deswegen zusammen, weil ihre Geschichten teilweise die Bühne gemeinsam haben, aber wie sie ist Kraus auch einer von diesen Leuten, die ganz viele gute Sachen machen und auch noch so erfolgreich, was in der Kombi selten passiert. 

-pb

24.05.2024 21:42

Bei Chris Kraus dachte ich zuerst an die Chris Kraus, die I love dick geschrieben hat….

Nochmal zu Jenny Erpenbeck: Ich hatte da in meiner Mail auch noch einen Satz drin (dann aber gelöscht), wo ich meinte, dass das Einzige, was mich davon abhielte, das Buch in Gänze zu lesen, den Grund hätte, dass ich zumindest derzeit keine Lust auf eine Beziehungsgeschichte mit Setting in der DDR habe. Daran musste ich beim Lesen deiner Mail denken: man findet es oberspitze geschrieben (gut, ich hatte ja nur einen kleinen Einblick), aber leider gerade keine Lust auf, ja, das Setting und die Atmosphäre. Wobei da natürlich (auch auf den paar Seiten, die ich las), so viele schöne Beobachtungen und Gedanken drin waren, für die es sich immer lohnt. Aber genau weil es so gut geschrieben ist und diesen Sog entwickel, gerät man natürlich in diese von der Autorin produzierten Stimmung, die sich dann über einen stülpt. Aber wenn einem der Sinn gerade eher nach Frühling und froher Laune steht, na…

Ich lese ja eigentlich fast gar nicht mehr, schon lange. Sehr lange. Romane oder ähnliches meine ich. Dieses Ding, dass man richtig eintaucht in ein Buch, dieses Kinogefühl hat, wie benommen ist, über Tage, sogar nach beenden des Lesens: ich kann mich gar nicht mehr dran erinnern, wann ich das das letzte Mal hatte. Das letzte Buch, das ich tatsächlich durchgelesen habe, war Kudos. Das fand ich spitze. Aber es ist (für mich) keins der Sorte Sog-Entwickler. 

Weil ich mir gestern (als ich gerade von A nach B unterwegs war) nur Kudos als Vergleichsmöglichkeit einfiel, habe ich ‚Kudos‘ mit der Leseprobe von Kairos verglichen. Dachte zuerst: die Titel, sie ähneln sich ja. Und ich dachte: Was ich toll fände, wäre, wenn es eine Autorin gäbe, die das Beste dieser beiden Schriftstellerinnen zusammenführte. Was ich nämlich an Kudos mochte, waren diese extrem schnittigen Beobachtungen von Menschen und ihrer Art zu kommunizieren – genau und gut ausgewählt die Einzelheiten, so dass man sie auch sofort vor sich hat, diese Leute, ähnlich wie bei JE. Aber in Kudos ist es auch schreiend komisch. Ich musste das Buch zwischendurch immer mal zur Seite legen, um in Ruhe zu lachen. Denke da vor allem an die anfängliche Szene im Flugzeug, mit dem Mann und wie der von seinem Hund erzählt. Ohne je etwas von JE gelesen zu haben, vermute ich, dass es in ihren Büchern weniger Anlass gibt laut aufzulachen.

Und noch: soweit ich weiß bzw. mich an Gelesenes erinnere, hat Virginia Woolf ‚Die Wellen‘ nicht mal eben so runtergschrieben, sondern sehr viele Jahre daran gearbeitet. Weil mir das Buch nicht wirklich gefiel, aber weil es eine Empfehlung von dir war, wollte ich mehr über das Buch wissen und forschte im  – damals noch mit nicht so vielen Infos ausgestattetem – Internet über die Entstehungsgeschichte. Meine Erinnerung erzählt von Kampf, einem Ringen, und sehr viel wenig Hoffnung auf Gelingen. Sie hatte da so eine Idee, wie das Buch sein sollte, aber es war wohl nicht so einfach für sie zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen. Und das merkt man dem Ergebnis auch an, aus meiner Sicht. Ich anerkenne aber ihren Willen, etwas zu versuchen, das es in ihrem Kopf gab, für das sie aber auf keine Vorbilder zurückgreifen konnte.

KR

25.05.2024 10:45

War ich grade Joggen und hab ein bekanntes Gesicht getroffen auf dem Rückweg, der wollte grade in den Frisör Große Hamburger gegenüber vom St. Hedwig, natürlich joggte ich grade nicht, ging langsam, verschwitzt in Sportsachen (ich laufe nicht die ganze Zeit, mache das zum Spaß) und er machte sich gleich lustig über mein „Joggen“. Ich meinte ein Glück hab ich die Zigarette noch vor der Hausecke ausgemacht, kicher. Na jedenfalls, ich kam um die Ecke, sah ihn, eigentlich wollte ich schon an ihm vorbei, weil ich null Ahnung hatte, wer das denn sein könnte, außer dass ich wusste, ich hab sein freundliches Gesicht schon mal gesehen. Er gleich so partymäßig Hey!! und dreht seinen Körper mir nach –  Weil er so nett war blieb ich stehen, shakehands, ich auch Hey! Wie gehts denn und so, und dann haben wir geschwatzt, Sport im coming of ages und wie man damit umgehen soll (nicht Alles oder Nichts und dann eben Nichts – transformieren und weniger und Anderes machen), er war früher Marathon gelaufen, 17 Mal gefinished, täglich habe er los gemusst und Laufen, und dann die Beine und nix mehr, nach zwei Kilometern ist heute Schluss für ihn. Mein Freund Rico auch, erzähle ich, früher Kampftsport, Kickboxen, Krav Maga, dann das Knie verdreht, was gerissen und aus die Maus für immer. Wurde dann depressiv und fett und noch zynischer, bis es Jahre später auch für ihn anders weiter gehen konnte. Ich, jahrelang Boxen, diese zwei Stunden Powerplay ohne Pause, wie geil, und das geht eben nicht mehr weil die Erholungszeiten jetzt viel zu lange sind bis es wieder geht und der ganze Körper wehtut, Lust auf einen Trainingsunfall mit Hirnblutung habe ich auch nicht, das kann aber nicht das Ende der Welt sein, so bobbelte unser lustiges, halb selbstironisches, halb menschenfreundliches Gespräch vor sich hin und ich hatte immer noch keinen Blassen, wer er denn war. Name, Bezug? Weeeeeer iiiiiiiist daaaaaas blooooos. Egal. Wie früher im Club, dachte ich und freute mich dran, Gesichter, Gespräche, so vertraut, wir lieben uns doch, nicht wahr, und weg, vielleicht noch bumsen oder bis zum nächsten Mal oder bis die Hölle zufriert. Irgendwann meinte er, ob ich denn noch Musik machen würde, ich hatte doch damals grade eine Proberaum gesucht, und bevor ich mich endgültig nackig machen musste dass ich absolut keine Ahnung habe, wer er ist, musste ich schnell weiter, und zum Glück wollte er langsam auch rein in den Frisör zu seinem Termin und weiter ging’s. Zuhause klärte es sich dann.

Wenn du was Längeres lesen willst, „Treue“ von Hernan Diaz. Eine tolle Frauengeschichte aus drei Perspektiven, sprachlich diamantenklar, skalpellscharf, so toll, er verzichtet (danke Hernan, wie auch danke Anja Kampmann deren „Wie hoch die Wasser steigen“ ich auch grade empfehlen will) auf die üblichen Schockeffekte, keine Gewalt, kein Sex.

Die letzten Verschenkten: Im Grunde gut, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, Lapvona.

Als nächste Belletristik lese ich „Bullet Train“ und „Trainspotting“, vorher noch Mathias Hirsch zu Traumata zuende, gestern habe ich ihn live geguckt, ein Vortrag zu Körperselbst und Dissoziation, er ist so gut.

-pb

26.05.2024 19:30

Wo ich mich in 10 Jahren sehe… Hast du mich gefragt.
Ich schrieb ja schonmal davon, dass ich große Probleme habe, mir schöne Sachen (bzw. mich in schönen Situationen) vorzustellen. Manchmal, wenn ich mich abends zum Schlafen hinlege, denke ich: Stell dir doch einfach was Tolles vor, sind doch deine Gedanken, niemand weiß davon. Du musst dich doch gar nicht schämen, nicht vor dir selbst. Aber ich kann mir nicht vorstellen, was ich als unrealistisch empfinde. Noch nicht mal nur so aus Spaß.

KR

27.05.2024 00:10

Tja. Da hatte ich eine schöne Seite über den Kali Day im Ashram geschrieben, dann überlegt, mache ich mich da grade lustig, Du kennst mich ja, alles klingt irgendwie leicht zynisch bei mir, und der Zyniker im Wortsinne ist ja einer, dem nichts etwas wert und alles egal und equally nichts ist, und haben die das verdient, hab ich das verdient, mich dann andersrum gefragt ob ich nicht etwas viel Bohei drum mache, weil sooo interessant geheimnisvoll ist es auch gar nicht, mich dann aber an Regel 1 des Fight Club erinnert und manches Private soll man auch privat sein lassen, auch wenn es eine öffentliche Veranstaltung war. Also alles wieder gelöscht. Ich kann ja irgendwann mal davon erzählen.

-pb

28.05.2024 17:13

Hier stand mal was über die Pragfahrt. Und über geteilte Hotelzimmer mit meinem Chef. Wie er Buchungen vornimmt, so dass es darauf hinausläuft, dass wir trotz meines klar geäußerten Wunsches ein Einzelzimmer zu haben, trotzdem in einem Zimmer, in einem Doppelbett landen. Beim Durchlesen fand ich, dass es gar nicht so uninteressant ist, also meine Herleitung, wie es jeweils immer wieder passiert, dass ich doch kein Einzelzimmer bekomme. Es war aber einfach zu lang, zu detailliert auch. Es mag der Tag kommen, wo ich in kurzen Sätzen darüber berichten, knapp und anekdotisch auf den Punkt kommen kann. So viel aber: Ich hatte dies Mal in der ersten Nacht wieder kein eigenes Zimmer. Sogar die Bettdecke hätten wir uns teilen müssen. Bin ich aufs Sofa umgezogen. Es war nur teils seine Schuld. An Tag zwei bekam ich mein eigenes Zimmer, aber weil die Reise frühzeitig abgebrochen wurde, hab ich nicht drin übernachtet.

KR