Juni 2024
Juni 2024
01.06.2024 18:43
In der heutigen Wochenendausgabe der taz fünf Sonderseiten zu Franz Kafka, zum hundertsten Todestag. Sicherlich nicht die einzige Zeitung mit Sonderseiten dazu.
Von Kafka habe ich nur ‚Der Process‘ und ‚Briefe an den Vater‘ gelesen. Und noch ein paar kürzere Geschichten.
In der Schule kam wohl ‚Die Verwandlung‘ dran. Falls, habe ich es nicht mitbekommen. Denn in der 7. Klasse stand als erstes ‚Die Schwarze Galeere‘ auf dem Programm, worauf ‚Der zerbrochene Krug‘ folgte und in der 8. Klasse ‚Das Fräulein von Scuderi‘. Danach bricht meine Erinnerung ab.
Diese drei Titel weiß ich nur deswegen noch, weil ich sie mir (die Bücher) unbedingt als schlecht merken wollte. Wobei eine Beurteilung natürlich nicht möglich war, denn ich habe immer spätestens nach zehn Seiten aufgegeben; die Bücher nicht mehr in die Hand genommen – bis zur Klassenarbeit. Wo ich dann hektisch und stichprobenartig drin rumlas und versuchte, mir auf die Schnelle einen Überblick zu verschaffen. Hat nie geklappt. Meine Klassenarbeiten wurden konstant mit einer 4 bewertet. Immerhin.
Denke gerade darüber nach, was eigentlich im Unterricht gemacht wurde. Was war in der Zeit vor den Klassenarbeiten? Habe ich mich gemeldet und irgendwas gesagt, zu dem Buch, das ich nicht gelesen hatte? Bestimmt. Ich habe ja gerne geredet. Bis zur 8. Klasse hatte ich auch eine 3 in Deutsch auf dem Zeugnis, wegen der mündlichen Note. Wobei die Bewertung meiner mündlichen Beteiligung im Laufe der Zeit immer schlechter ausfiel. Auch, aber nicht nur allein wegen des steigenden Anspruchs.
Aus ähnlichem Grund, weswegen ich mich an die Buchtitel erinnern kann, kann ich mich auch noch an den Namen meiner Mathelehrer auf dem Gymnasium erinnern.
Der erste, in Klasse 7, hieß Herr Gerlach. Nachdem ich von ihm spätestens ab Klasse 8 beinahe in jeder Unterrichtsstunde an die Tafel gestellt worden war, damit mir meine Mitschüler*innen dabei zugucken konnten, wie ich einen Blackout bekomme (mir selbst die simplesten Rechenregeln nicht einfielen), und diese Beschämung dazu führte, dass ich komplett den Anschluss verlor, war ich erstmal froh, als wir in der 9. Klasse einen neuen Lehrer in Mathe bekamen.
Ich setzte mich in die erste Reihe, direkt vor den Lehrerschreibtisch, und obwohl ich von nichts einen Schimmer hatte, beteiligte ich mich sehr rege. Es ist ja durchaus möglich, aus dem, was andere sagen, Extrakte rauszuziehen, so dass es wirkt, als wüsste man was.
Bevor die erste Klassenarbeit geschrieben wurde, gab es mündliche Noten. Ich bekam eine 1. Dann kam die Klassenarbeit, wo aufflog, dass ich wirklich gar nichts konnte. Note: 6. Ich glaube, Herr Leuschner hat sich geschämt, dafür, dass er auf mein Blendwerk hereingefallen war. Auf jeden Fall stellte er mich fortan, genau wie der Mathelehrer zuvor, gerne an die Tafel, um mich dort mein Nicht-Wissen vorführen zu lassen. Und konnte mir entsprechend, ohne schlechtes Gewissen, eine 6 als mündliche Note geben. Slaptstickartiges Verhalten an der Tafel fand leider keine Berücksichtigung bei der Notengebung (und ich bekam auch keinen Extrapunkt dafür, dass ich nicht geweint habe).
Herr Leuschner war ein sehr dünner Mensch, mit grauem Teint, trug beigefarbene Hosen und weinrote Pullunder. Er war außerdem gottgläubig, Mitglied einer freien Kirchengemeinde. Mathematik nicht zu können, das war für ihn, denke ich, ähnlich unnachvollziehbar wie ungläubig zu sein.
Unattraktive Lehrkräfte. Verhärmte. Schlecht angezogene. Angstvolle. Die Schüler*innen als Gegner*innen sehen. Die die Schüler*innen, die die Schönheit ihrer Sache nicht sehen wollen, die den Raum nicht sehen können (den Raum der Mathematik, der Kunst, oder was auch immer) als verlorene Schafe einsortieren. Ein persönliches Beleidigtsein, darüber, nicht vermitteln zu können: Ich kapier nicht, warum du es nicht kapierst. Und übernehme für dein Nicht-Verstehen keine weitere Verantwortung.
Meine Kinder lesen übrigens auch nie die Bücher, die sie im Deutschunterricht lesen sollen. Egal, was drankommt. Nicht lesen, weil: die Lektüre schon im Vorfeld verdorben durch die zu erwartenden Fragen. Bücher lesen und wissen, dass danach eine Erörterung geschrieben werden muss. Das Erleben, beim Lesen, auch korrumpiert durch die Panik der Lehrkräfte, die daran denken, dass die Auflagen des KCs umgesetzt werden müssen.
KR
01.06.2024 19:36
Die Arbeitstage mit Claus erinnern mich oft an die Zeit, als meine Kinder noch klein waren. Hast du deine Kinder groß gemacht, kannst normal mit ihnen reden, und dann kommt ein Chef, der wie ein Kleinkind danach verlangt, dass du sein Gebrabbel wiederholst und der sich freut, wenn du es auf das nächste Level führst: Brummbrumm macht das Auto, der Hahn macht Kikeriki. Hatte eigentlich gedacht, das hinter mir zu haben.
KR
01.06.2024 21:14
Ach, hasse ruhig die Männer, ab und an, mal mehr mal weniger..
Hier ist es einfach nur heiss und schwül. Hätten wir doch Regen, oder Sturm, und es ist erst Anfang Juni
Bin so dulle im Hirn, könnte nur noch schlafen. Das hab ich die letzten Tage auch viel gemacht, immer wenn es ging, zwischendurch.
-pb
02.06.2024 18:52
Ich hab einen lustigen Verriss des aktuellen 100-Jahre-(oder 200? Oder 1000?)-Kafka-Hypes gelesen. Es ging eigentlich mehr um Leitkultur generell und den ewigen Verwertungskreislauf von „Hochkultur“, Goethe, Kafka, Warhol, die Wärmepumpe des Immer-neu-verkaufens und Verdienens. Den Autor T. Blum mag ich, auch wenn er ein wenig dödelig-rotweinig daherkommt. Es muss auch nicht jede:r die Rasierklinge sein, er hat sozusagen das Herz am rechten Fleck. Am richtigen Fleck mein ich. Hallo!
Der Jungsche in unserem Späti hätte grade hitzeverpeilt meine Zweifünfzig akzeptiert, wenn ich ihm nicht noch den fehlenden Zehner unter die Nase gehalten hätte. Sein potentielles Reaktionsintervall war merklich abgelaufen und er schon wieder weggedämmert in seine Clerkism Langeweile, da war er doch kurz irritiert warum ich ihm noch einen Zehner zeige.
-pb
MI 05.06.2024 22:07
Als wir aus Tschechien wiedergekommen sind, Claus und ich, und dann hinterm Bahnhof noch eine Zigarette rauchten, fragte ich ihn, wie peinlich es ihm ist, was dort passiert war. Er konnte nicht antworteten, also machte ich es ihm einfacher: Auf einer Skala von 1 bis 10, wie peinlich? Antwortete er erst mit 10, dann mit 12 und schlussendlich mit 15. Entsprach genau dem, was ich an seiner Stelle geantwortet hätte.
Und obwohl ich mehr oder weniger nur Zuschauerin all der in Tschechien passierten Peinlichkeiten gewesen war, hatte mich die Reise total erschöpft. Aber es ging ohne Pause mit dem normalen Arbeitsalltag weiter. War ich außerstande, mich um die Kinder zu kümmern, wenn ich abends nachhause kam. Habe mich unter der Dusche gesetzt, mir Wasser über den Kopf laufen lassen. Abend für Abend, bis das Wochenende kam.
Hier eine Verschriftlichung von der Zugfahrt (Prag – Berlin):
Der Zug war um halb fünf nachmittags gestartet. Die Sonne schien an dem Tag. Es war auch sehr heiß. Zuerst saßen Claus und ich nebeneinander. Wir hatten Plätze reserviert und da der Zug voll war, mussten wir die nehmen. Es war ein Großraumwaggon und unser Zweierplatz lag so, dass man nicht aus dem Fenster gucken konnte. Genau wie es heutzutage auch in Flugzeugen passiert, dass du anstatt eines eigenen ganzen Fensters nur einen kleinen Streifen von einem Fenster hast (was daran liegen mag, dass gerne zusätzliche Sitzreihen eingefügt werden).
Nun, durch den verhinderten Ausblick lenkte sich meine Aufmerksamkeit unwillkürlich auf die Beinfreiheit. Und mir entstand der Eindruck, dass speziell unserer Sitzreihe ein paar Zentimeter gekappt worden seien mussten, denn meine Knie stießen an den Sitz vor mir (was ich so nicht kannte) und mir kam der Gedanke, dass es sich um besonders billige Plätze handeln musste. Dass Claus heimlich, nachdem klar war, dass er (und nicht der Auftraggeber) die Fahrt bezahlen musste, aus Spargründen diese Reihe mit extrem wenig Beinplatz und ohne Fenster gebucht hatte. Das war nicht so, versicherte er mir.
Nachdem wir noch eine Stunde gearbeitet hatten, setzte ich mir eine Schlafbrille auf und steckte mir die In-Ear-Kopfhörer rein. Ich wusste schon, dass Claus das nicht gut finden würde. Er sagte zwar nichts, aber ruckelte dann unablässig rum, auf seinem Platz. Aß dazu noch geruchsintensive Würstchen und zwang mich alle paar Minuten dazu, die Kopfhörer und die Brille raus/abzunehmen, weil er meinte, mir noch irgendetwas Wichtiges sagen zu müssen. War aber nur so was, wie: Ich denke, der Zug wird zu spät in Berlin ankommen und dann verpassen wir den Anschluss nach Hannover.
Aber unser Zug hat doch gar keine Verspätung, hab ich dann gesagt, mindestens drei Mal. Und er, drei Mal: Ja, stimmt, habe nur drüber nachgedacht, wie es wäre, wenn.
Nach ein paar von mir abgesetzten Mikro-Aggressionen (Witze über seine Ruckelei, den Geruch seiner Würste, über seine absonderlichen Bedenken einer Anschlussverpassung und, überhaupt, warum er mich denn nicht einfach mal in Ruhe lassen könne), wo er dann so tat, als fände er meine Einwände/Witze lustig (was sie eventuell auch waren, von der Formulierung her, mehr aber auch nicht), habe ich den Platz gewechselt. Konnte ich, weil vor uns was frei geworden war. Ein ganzer Doppelsitz. Dort konnte ich schön aus dem Fenster gucken und ich bemerkte, wie sich das Gefühl des Eingeklemmtseins langsam verflüchtigte. Ich hörte mir eine Folge von ‚Sternstunde Philosophie‘ an. Eingeladener Gast war Bayo Akomolafe. Was auch immer man über seine Ansätze denken mag: Mir hat es gut getan ihn reden zu hören, auch worüber er redete. Es entfernte mich aus Claus‘ Welt, dieser Welt, in der alles um ihn kreist und um seine Arbeit; in der ich nur vorkomme als Zuhörerin, Bestätigerin. Wo der Ausdruck ‚Scheibe‘ viel zu dreidimensional wäre, um die von mir nötigerweise vorzunehmende Abflachung zu beschreiben.
Dann diese schöne Landschaft in der Abendsonne vorbeiziehen zu sehen, dabei jemandem im Ohr zu haben, dessen Erzählungen von Offenheit und Weite sprechen… Das führte mich zu Gefühlen von Freiheit. Da dachte ich: Zwar schön hier auf diesem Sitzplatz, aber was würdest du tun, reistet du alleine? Na, aufstehen, im Zug umgucken! Das habe ich dann gemacht, ohne Claus eine Erklärung abzugeben. Ich bin einfach aufgestanden und weggegangen. Wir saßen im ersten Waggon. Ich ging bis zum letzten und das war der Speisewagen. Einer wie von früher. Richtige Tische, mit weißen Stoffdecken eingekleidet. Und als ich feststellte, dass es noch mehrere freie Tische gab (ein einzelner freier Tisch: da hätte ich mich nicht getraut, den in Anspruch zu nehmen, weil ich möglichst wenig Geld ausgeben wollte), bin ich zu der kleinen Küche gegangen, um mir etwas zu bestellen. Vorbei an einem etwas hochmütig aussehenden Pärchen mittleren Alters, die kleine Fläschchen Rotwein vor sich stehen hatten; an einem etwas jüngerem Mann, der neben seinem Bier ein Notebook aufgestellt hatte und gerade telefonierte; einem älteren Mann, der wie ein Architekt aussah und mich so sehr anstarrte, dass ich nicht gucken konnte, was er trank; und schlussendlich an einem jungen Mann, der mir einfach nur freundlich zunickte und soweit ich sah, gar nichts verzehrte.
In der kleinen Küche fand ich dann das Bild eines herumlümmelnden Angestellten, der eine Hose mit schwarz-weißem Würfelmuster trug und sofort aufsprang, als ich mich ihm näherte, mich auf Tschechisch ansprach und als ich ihm auf Englisch antwortete (Good evening, I would like to drink something), gab er mir eine Antwort auf Deutsch. Er würde mir einen Kaffee empfehlen, sagte er und zeigte auf eine Maschine italienischer Bauart. Kein Vollautomat, meinte er. Ist ein guter Kaffee. Ich bestellte einen Americano, fragte noch, ob es okay sei, wenn ich nur ein Getränk und kein Essen nehmen würde, und als er mir sagte, dass das kein Problem sei, wartete ich, weil ich den Kaffee mitnehmen wollte, zu meinem Platz. Aber dann tauchte noch ein zweiter Angestellter auf, ein sehr dicker, der darauf bestand, mir mein Getränk zum Tisch zu bringen. Trank ich meinen Americano dann an diesem Tisch mit weißer Tischdecke. Von links schien mich die Abendsonne an – sie stand über weiten Feldern, denn wir hatten bereits die hügelige Landschaft der sächsischen Schweiz verlassen. Und ich wurde so herzensfroh, weil alles in diesem Waggon auf Genuss gepolt zu sein schien. Alle einzelnen Menschen darin, die Gäste wie die Angestellten, schienen keiner Form von Stress ausgesetzt zu sein. Natürlich konnte ich das nicht wissen, ich konnte sie noch nicht mal sehen, denn mein Tisch lag ganz am Ende des Waggons, ich saß mit dem Rücken zu allen. Aber wie man sich zumindest einbilden kann, dass sich alle wohlfühlen, wenn da nur ein sanftes Gemurmel in der Luft liegt, die Abendsonne darüber, und der Zug fährt und fährt, keine Stopps in den nächsten zwei Stunden. So entweltlicht erschien mir dieser Ort, wie, als säße ich in einer Raumkapsel: zwar kein Blick von oben, weit weg von allen Problemen, aber dennoch scheint selbst ein Zug in Bewegung – zumindest in einem Waggon, wo nur die hinfinden, die sich von ihren Platzreservierungen zu lösen vermochten – eine Art Freiheit zu bringen, die alle dort sich Zusammenfindenden in einen Zustand bringt, als befänden sie sich auf einem Flug zum Mond. Weltliche Probleme? Nicht jetzt, nicht hier.
Ich holte mir dann noch einen Wein, einen grünen Veltliner. Warum denn nun Alkohol, hatte ich vorher noch gedacht. Aber es war eine gute Entscheidung gewesen. Ich kam in einen ganz leichten Schwips. Von weniger als 0,2 l.
In dieses ruhige Setting platzte eine Gruppe von sechs jungen deutsch-sprechenden Frauen. Sie gingen nicht direkt durch zur Küche, sondern guckten erstmal auf die ausgelegte Karte an einem freien Tisch neben mir. Und eine der Frauen sagte zu einer anderen: Na, da ist ja alles drauf, was du so gerne magst: Fleisch, Fleisch und nochmal Fleisch. Die ganze Gruppe lachte und beschloss, dass das Bier günstig genug sei, um es zu kaufen. Aber hinsetzen wollten sie sich nicht. Sie kauften ihre Biere und verschwanden damit.
An der Gruppe Frauen war mir bei ihrem Eintritt in den Waggon sogleich aufgefallen, dass sie alle total verschwitzt waren. Überhitzt. Was sich bei jeder Einzelnen anders zeigte. Die eine hatte rote Bäckchen, die wie kleine Äpfelchen aussahen. Eine andere hatte vereinzelte rote Flecken über das ganze Gesicht verteilt, landkartenähnlich, was mich, ohne dass ich es wollte, an die Kinder von Landwirten erinnerte, mit denen ich die Grundschule besucht hatte. Eine weitere hatte ein wachsweißes Gesicht, aber mit herablaufenden Schweißperlen. Dachte ich an Klara (die Freundin von Heidi von der Alm). Eine andere war einfach nur komplett rot im Gesicht und die letzten zwei: bei denen entdeckte ich, dass ihre (kurzen) Haare im Nacken in der Art feucht aussahen, wie das Fell von frisch geborenen Tieren, aber ihre Gesichter völlig ungezeichnet von der Hitze. Und ich war mir sicher, dass sich die Art, wie sich Hitze (im Gesicht, am Kopf) zeigt, ähnlich schlecht kaschieren lässt wie Herkunft. Und dass Herkunft (class) möglicherweise unterschiedliche Arten des Schwitzens mit sich bringt. Oder die – Umkehrschluss – unterschiedlichen Arten, wie sich Überhitzung zeigt, einer Herkunft zusortiert werden (bestimmt nicht nur von mir).
Ich selbst bin übrigens die Fraktion erst knall-rote Nase kriegen und dann ein komplett rotes Gesicht, mit deutlich hervortretenden Hautporen, wo aufgetragenes Make-up (Foundation) als Übermalung enttarnt wird – ich ab einem Punkt einfach die Kontrolle über mein Aussehen verliere, egal wie oft ich nachpudere.
Ich würde übrigens so weit gehen, dass Leute aus unteren Gesellschaftsschichten, deren Schwitzen attraktiv aussieht, den Aufstieg in obere Schichten schneller oder einfacher schaffen als die, deren Hitzewallungen Landkarten im Gesicht machen, oder absurd rote Nasen produzieren. Ich mein: allein die Zeit, die die Kaschierung beansprucht! Nicht zu unterschätzen.
Als ich mit diesen Gedanken fertig war, wurde mir klar, dass diese jungen Frauen aus dem Waggon gekommen sein mussten, in dem die Klimaanlage nicht funktionierte. Schon auf dem Weg zum Speisewagen war mir aufgefallen, dass es sich um denselben Zug wie auf der Hinfahrt handelte und in diesen drei Tagen anscheinend das Problem nicht behoben worden war. Auf der Hinfahrt hatte es aber keine Möglichkeit gegeben die Plätze zu wechseln, weil der Zug bis zum Schluss extrem überfüllt war. Wir, Claus und ich, mussten sitzenbleiben, in diesem Waggon mit der kaputten Klimaanlage, in dem 6er-Abteil, das sich wie eine Saunakabine ausnahm.
Anders nun aber an diesem Tag, wo sich der Zug nach der Grenze zu Deutschland gut geleert hatte – die Frauen ihr überhitztes Abteil verlassen hätten können. Es war ihnen aber gar nicht aufgefallen, dass einzig ihr Waggon (und darin das Abteil) so heiß war. Zwar sagte eine, als sie den Speisewagen betrat: Oh hier ist es aber schön kühl. Aber das wurde von allen Sechsen wohl nur als Speisewagen-Privileg gesehen, denn kurze Zeit später, als ich zurück zu Claus ging, sah ich sie in dem 6er-Abteil in dem Waggon mit der kaputten Klimaanlage, wie sie ihre Biere tranken und sich Luft zufächelten. Wobei sie recht glücklich und zufrieden wirkten. Vielleicht dachten sie, dass es in tschechischen Zügen nun mal so ist, so heiß, im Sommer, und buchten das als schöne exotische Erfahrung. Und hätten es nur als Störung empfunden, darauf hingewiesen zu werden, dass es sich anderswo im Zug auch ohne Schwitzen reisen ließ. Und Schwitzen: kann von zumindest denen, bei denen es sich hübsch zeigt, auch unproblematisch empfunden werden. Also wenn sie wissen, wie gut sie dabei aussehen (wie frisch geborene Lämmer) – und scheiß auf die Freundinnen, denen das Schwitzen eher nicht so gut steht.
KR
06.06.2024 16:40
Eigentlich habe ich kein Problem mit Geburtstagen (meinen), wie ich auch kein Problem mit Silvester, Weihnachten oder sonstigen Tagen habe, die aufgrund der üblich aufgebauten Erwartungen Probleme mit sich bringen können. Denn ich plane diese Tage meist so, dass es nicht zu Überforderungen kommen kann, weil ich alles recht einfach halte, alles selber organisiere und zusätzlich klar ausspreche, was ich mir wünsche oder erwarte.
Ich kann mich nicht dran erinnern, dass ich an meinen Geburtstagen oder anderen Anlässen jemals unglücklich oder beleidigt war.
Dies Mal ist es anders. Ich bin ganz furchtbar beleidigt. Und alles nur, weil ich die Planung nicht selber in die Hand genommen habe, sondern sie Steffen überließ. Es kam zu einem schrecklichen Downgrading. Um es kurz zu fassen: Erst ging es um einen einwöchigen Urlaub in Albanien (um meinen Geburtstag herum, den er mir schenken wollte (den Trip)), was dann nicht ging, weil er auf Geschäftsreise in die Türkei musste. Hieß es: Dann kannst du ja da mit hinkommen. Nach Izmir. Aus diversen Gründen hat sich aber auch das zerschlagen (ohne eine Besprechung mit mir), woraufhin Steffen mir dann einen eintägigen Ausflug in irgendein Weinanbaugebiet vorschlug. Das hatte ich dann aber abgelehnt, weil ich es unattraktiv fand, 600 Kilometer an einem Tag zu machen (hin und zurück), nur um aus dem Auto zu steigen, für zwei Stunden, und ‚Oh, hier ist es aber schön‘ zu sagen. War mein Vorschlag dann: Eine Fahrt mit seinem Gummiboot, auf dem hiesigen Kanal. Er und ich. Einfach nur das. Aber auch bei nicht so gutem Wetter. Ich sagte: Wenn die Temperatur nicht unter 19 Grad liegt, will ich mit dir aufs Wasser. Hat er ja gesagt. Aber nun weigerte er sich heute, das Boot aufzupumpen, weil wirklich nur 19 Grad für morgen angekündigt sind, aber plus Wind. Hätte ich natürlich drauf bestehen können, dass wir es trotzdem machen. Aber macht ja keinen Spaß, wenn man wen überreden muss.
Und die Reservierung im Restaurant, wo ich morgen an meinem Geburtstag mit meiner Mutter, meinen Kindern und Steffen hingehen wollte (die eine Sache, die ich organisiert hatte und die mir (deswegen?) unumwerflich schien), die musste ich stornieren, weil Bubi mir vorhin mitteilte, dass er den Gitarrenunterricht von Lollo nicht mehr bezahlen kann und sich schon 200 Euro Schulden aufgehäuft hätten, die genau heute bezahlt werden müssten. Hab ich überwiesen. War genau der Betrag, den ich für den Restaurantbesuch eingeplant hatte. Geld alle. Echt doof. An dieser Stelle kannst du mir gerne nochmal sagen, dass ich anstatt Eigenhass auch Männerhass haben darf.
KR
07.06.2024 06:46
Jetzt überlege ich die ganze Zeit, soll ich zum Geburtstag gratulieren oder gar nicht, was besonderes oder einfach Alles Gute, oder ist das dann auch wieder doof und ignorant, oder wie oder was. Ein Glück haben meine verqurkelten Überlegungen nicht zum Stillstand geführt.
Letzten Montag vor der Popelbühne Dunckerstr., ich wurde schlagartig erinnert, dass Dariusz nebenan gewohnt hatte, im ersten Stock seine verwahrloste Alkjunkie-Wohnung, in der er dann verendet war nach jahrelangem Siechtum. Im Erdgeschoss ist die Sozialstation, Montags immer Kleiderkammer wo man sich was mitnehmen kann, vor der Tür ein Trüppchen Rotgesichtige in Bestlaune, stockbesofffen natürlich, nur dicht oder schon psychotisch, druffikofski und Holla die Waldfee, eine Ältere auf der Straße tanzend zum deutschen Schlager aus dem Fahrradlenker-Radio. Sie tummelten sich da, soffen, drehten sich eine oder zwei, ich also mittendurch und war kurz versucht, nach den Gesichtern zu gucken, vielleicht kenne ich eins von damals. Dariusz‘ Fenster im Ersten jetzt schön geputzt, längst Prenzlberger Fettecke, fette irgendwie-skandinavisch-sein-sollende Gardinen, eine Weile schaute ich es mir von unten an, der Raum dahinter säuft immer noch ab ins schwärzeste Tiefschwarz. Lange nicht in der Gegend gewesen. Kurz in den Kinderbetrieb in der Popelbühne, dann holte ich mir gegenüber in Dariusz und meinem (dezent modernisierten) Stammspäti ne Gedenkcola und setzte mich auf die Bank vor dem Altentreff, fernab vom Trubel vor der Kleiderkammer.
Ach ja, mir war vor dem Wochenende noch einer der vorderen Backenzähne rausgefallen, also mehr oder weniger implodiert, die Wände hielten nicht mehr, die Füllung war wohl vorher schon weg. Ein kleiner Rest der Zahnwand stand spitz nach oben und bohrte sich bei jedem Bissen in die Wange, bis sich die Fleischfransen mit der Zunge anfühlten wie ein Mini-Flokati. In der Früh war ich noch zur Notversorgung, für alles andere habe ich einen Termin im September.
Dienstag morgen hatte ich eine Klientin, Mutti von Zweien, deren Exmann psychotisch geworden war, erst zunehmend das wirre Gerede und das unverständliche Verhalten, dann die ganzen Folgeschäden, Ausraster, Polizeieinsätze, Einweisungen, und alles mit und vor den Kindern. Wenn man psychotische Schübe die ersten Male miterlebt, kann man die gar nicht verorten, weiss noch nicht zu trennen zwischen Wahrheit und Wahn, zwischen dem neuen Dibbuk, der da zu einem spricht, und der früheren Person, denkt inhaltlich viel und lange drüber nach was da alles gesagt wird. Und hängt natürlich persönlich dran, liebt, will helfen, also das geschah letztes Jahr und nun ist sie aus dem Gröbsten raus. So führten wir ein Psychose-Angehörigen-Gespräch, halten Sie ihren inneren Abstand, kümmern Sie sich gut um sich selber, stellen Sie sich selber in den Mittelpunkt, wenn Sie können, helfen Sie den Kindern zu verstehen, die tragen auch keine Schuld, das ist wichtig, dass Sie das vermitteln, ich war wirklich gut, und während ich so merkte, das Thema liegt mir und es flutscht nur so, Fachwissen paart sich mit echter Empathie, fiel mir auch wieder ein, warum. Da fing ich selber fast an zu weinen, riss mich zusammen, brachte die Stunde irgendwie hinter mich. Zehn Jahre ist das alles nun her, der Tod von Richard in der Psychiatrie und die Jahrzehnte vorher, mit ihm und der Krankheit, von nah und aus der Ferne, lebenslang gebraucht um zu verstehen und irgendwann nicht mehr ganz so krass dranzuhängen. Wohl nicht von ungefähr ist being detached / being attached grade interessant für mich, verbunden sein aber nicht verwoben.
„Ich hab es getroffen / nicht gelesen / und es möchte echt sein“
-pb
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10.06.2024 22:49
Backenzahn, deiner. Wie sieht es aus? Behandlungsplan?
Steffen ist neulich ein oberer Schneidezahn rausgefallen. Jetzt hat er eine durchsichtige Schiene, mit einem einzelnen provisorischen Zahn eingebaut, damit er sich nicht schämen muss im Alltag. Aber schon alles eingeleitet für ein Implantat. Der Zahn war Wackelkandidat seit dem Unfall vor neun Jahren. Da war er von einer Leiter gefallen, auf einen Gegenstand, der ihm die Nase gespalten und diesen einen Schneidezahn in Mitleidenschaft gezogen hat, der seitdem schräg nach vorne stand aber noch ging. Aber jetzt ist er raus, und Steffen wird demnächst wieder so aussehen, wie er aussah, als ich ihn noch nicht kannte. Na, abgesehen von der Nase.
KR
11.06.2024 06:54
In unserer Hüttte, naja unserer, also die wo mein Stief-Opa lange vor meiner Zeit gebaut hatte, mitten im Wald, am Rande des FKK-Geländes in der Nähe des Segelflugplatzes, ganz aus Holz und jedes Loch mit der Hand gebohrt, ohne Strom. Der Kamin, den dicken Granit damals im Kofferraum vom Audi 80 aus Italien mitgebracht, holzbefeuerte Kochmaschine, Petroleumlampen, also da waren wir als Kinder oft, war ja nicht weit und die Mutter allein erziehend weil der Vater war entweder arbeiten oder schon tot. Da, Abends, jetzt wo wir nach vielen Jahren mal wieder hingefahren waren, drinnen gemütlich warm mit Petroleumlampe, draußen dunkel und Wald, hab ich das Grauen bekommen. Ob da auf einmal wer reinguckt, aus dem Dunkeln, man sieht ja nichts von innen nach außen aber von außen, aus dem Dunkeln, nach innen alles. Ich hatte oft diese, nun ja, Intrusionen, dass da wer rumläuft, rumgeistert. Hilfe! Erzählte ich meinem Therapeuten (vielleicht hatte ich in meinem Leben auch nur zu viele schlechte Filme geguckt, das einsame Cottage im Wald, der Wochenendausflug, sie wissen schon). Er ließ sich alles erzählen und fragte ungefähr – gut, da sind also Geister, was sind denn IHRE Geister? Danke, guter Mann. Sein Bild anzunehmen, Rumspukende, Geister, Verstorbene, die ins Bild laufen als scheinbar fiktive Schreckgestalten, das hat bei mir eine Weile gedauert, aber natürlich hat er recht – da sind die Menschen von damals, aus meinem frühen Leben, die nicht mehr hier sind, und die kommen in die Erinnerung, an den passenden Orten oder wenn sonst was an sie erinnert. In der Hütte sah ich seitdem nicht irgendwen, sondern. Das wurde irgendwann schön, weil ich sie dort zuverlässig treffen konnte, ich hatte keine Angst, ich freute mich, dass sie dort sind. Wobei ich jetzt aber auch eigentlich nicht mehr hinfahre.
Ich mag die Filme, wo schöne Liebesbriefe ihre Wirkung tun, und dann stellt sich raus, die wurden eigentlich von jemand anderem geschrieben. Cyrano von Bergerac zum Beispiel, und dann gab es neulich noch so einen Film, Name vergessen, da kam der Stoff wieder auf. Warum mag ich die, warum spricht mich das an? Vielleicht, weil ich selber nicht so gut sprechen kann? Wenn’s ums Eingemachte geht, Gefühle und so.
-pb
15.06.2024 18:42
Vorhin, als ich aufs Klo gegangen bin (war/bin im Atelier), wunderte ich mich über das prasselnde Geräusch beim Pinkeln. Dank einer recht fitten Beckenbodenmuskulatur konnte ich den Strahl stoppen, stand auf und guckte in die Schüssel. Wo ich sah, was ich dann aber auch schon vermutet hatte: die Tabakpackung lag im Klo – war mir wohl aus der Hosentasche gefallen. Runterspülen kam wegen Verstopfungsgefahr nicht infrage. Und wenn schon rausgeholt, warum dann die Packung nicht abspülen und trockentupfen. Und warum den Tabak dann nicht rauchen, wo er doch kaum nass geworden war. Jetzt sitze ich hier und rauche ihn. Musste ihn zuvor aber doch ein wenig trocknen. Hab das mit einem Heißluft-Lockenstab gemacht.
Das Buch, dein Geschenk, zum Geburtstag… Es tut mir leid, aber ich kann es nicht zuende lesen. Ich kann die viel zu gut beschriebene Gewalt darin nicht ertragen.
Mir hat mal eine Frau von ihrer Nierentransplantation erzählt. Bin ich bin ohnmächtig geworden, weil sie eine wirklich gute Erzählerin war.
Und als mir meine Freundin Susanne vor einigen Jahren von einer blutigen Blasenentzündung erzählte, die sie bekam, kurz nachdem ihr Vater von einem Dach gefallen und gestorben war, ging ich nachhause und bekam Unterleibsschmerzen, die schlimmer als Wehen waren. Aber der Spuk verschwand innerhalb weniger Minuten, als ich mir selber androhte den Notdienst zu rufen.
Wenn ich sehe, wie jemand einer Katze den Kopf streichelt oder irgendwas anfasst, das ich selber schonmal berührt habe, fühle ich das so unmittelbar, als täte ich es selber. Ich muss mich da nicht extra hineinfinden, darauf konzentrieren.
Aber den Pschyrembel, der im Bücherregal meiner Eltern stand, den konnte ich mir anschauen, ohne dass es Auswirkungen gehabt hätte. Ist ja auch kein Roman. Und keine Person aus meinem Bekanntenkreis hatte jemals eine dieser furchtbaren Dinge, die darin abgebildet sind.
KR
16.06.2024 02:44
Physisches Mitempfinden habe ich eigentlich nur bei den Jungs, ansonsten bin ich eher dicht. Habe auch eine ziemlich tumbe Art, den Menschen bei der Arbeit die Taschentuchbox hinzustellen, wenn sie das Flennen anfangen. So in der Art, Oh warten Sie, ich stelle Ihnen mal besser die Taschentücher hin, hier bitte. Das hat für mich den Vorteil, dass sie es meistens schon im Vorfeld unterdrücken. Heulen gehört für mich zu den Körperreaktionen und damit will ich dort nicht arbeiten, da sollen die Leut:innen ihre Gefühle früh beiseite legen und einen klaren Kopf haben. Der Zahnarzt will auch nicht dauernd von den Schmerzen wissen, er will in Ruhe den Zahn reparieren.
Wie gesagt, ich bin wohl ein wenig verstockt. Als transzendentes Medium, was die Emotionen seiner Umwelt umsetzt, da wäre ich jedenfalls schon verhungert.
Manchmal beim Einkaufen muss ich total kacken, also beim Samstagfrüh-Einkauf (meistens schon um Acht). Pinkeln muss ich mindestens, aber meistens wirklich kacken. Vor Ort gibt es eigentlich nichts, das Klo vom Kaufland ist eine feste Koordinate der Obdachlosen-Welt, man will sich dort auf keinen Fall hinsetzen, und vor einigen Wochen ging es einfach nicht mehr (und das Klo gänzlich außer Betrieb), ich musste raus. Einkaufswagen drinnen halbvoll stehen lassen, eile eile, auf’s Rad und schnellstens rüber zum James-Simon-Park, weil da ist ein öffentliches Toilettenhaus. Das war dann aber von der üblichen Freitag Nacht Party so dermaßen verstopft, stinkend, zugeschissen, der Boden ein See aus Pisse, Hilfe, eine geradezu kathartische Ekelhaftigkeit. Aber ich hatte keine Wahl, also – auf beiden Füßen stehend, die Hose halb runter um die Knie gespannt damit sie auf keinen Fall den Boden berührt, die Hand gegenüber an die speckige Türklinke gekrallt nach hinten gelehnt. Früher Morgen, Kaffee, Zigarette, Bewegung, was wundere ich mich. Wieso kommt der Drang immer im Supermarkt?
Der Doktor empfahl mir ein blutdrucksenkendes Mittel wegen der Nierengeschichte. Sie sollten wirklich mit dem Rauchen aufhören, alles hängt mit allem zusammen. Jaja, ich mach ja schon. Leckt mich doch alle.
-pb
18.06.2024 19:35
Neulich beim Mittagessen im italienischen Schrott-Restaurant meinte ich zu Claus: Die einzige Möglichkeit für mich, nicht in Altersarmut zu landen, ist (neben einem Lottogewinn, aber ich spiele kein Lotto), einen Bestseller zu schreiben. Spiegelbestseller, schob ich hinterher. Verbesserte auch das nochmal und sagte: Weltbestseller.
Was meinst du, fragte ich ihn, worum es in dem Buch gehen könnte? Oder welches Genre? Er dachte nach, legte seinen Kopf zur rechten, dann zur linken Seite und sagte: Schreib doch ein Kochbuch.
Wie jetzt, mit Rezepten? Darauf antwortete er aber gar nicht. Er redete sofort über was anderes. Sagte aber später ganz plötzlich, nachdem er von der Tochter eines Freundes erzählt hatte, die gerade die Diagnose Epilepsie bekommen hat, und die deswegen, Claus‘ Einschätzung nach, ihr Studium wohl abbrechen müsste und ihrem Vater ganz sicherlich die nächsten 10 Jahre übelst auf der Tasche liegen würde, dieser zudem leider aber auch gerade seinen Job verloren hätte, und dass das alles bestimmt schlimm ausginge: Ja, mach das doch!
Was jetzt? fragte ich ihn.
Schreib ein Buch! sagte er.
Aber ich kann doch gar nicht kochen.
Schreib einen Krimi, sagte er. Schreib eine ganze Serie von Krimis. Das kann ich mir gut vorstellen.
Aber wie kommst du vom Kochbuch auf Krimis? hab ich ihn gefragt.
Keine Ahnung, ich sah’s nur gerade vor mir.
Und wie kamst du erst auf Kochbücher? Weil du Hunger hattest?
Nein, nein, sagte er und sagte dann: Du schreibst Krimis, ich kann’s sehen, ganz viele. Morde kannst du dir bestimmt gut ausdenken, meinte er noch.
Na, bestimmt besser als Kochrezepte, dachte ich.
KR
20.06.2024 21:58
Hab mir jetzt ein paar ganz bestimmte ayurvedische Pilze in Tablettenform bestellt, als Vorbereitung für mein Retreat. Ist empfohlen, würde anstrengender als man denkt. Vitamine solle man vorher auch reichlich zu sich nehmen.
Kürzlich, eine Nebenbemerkung vom Opa war – Ich bin eigentlich gar kein Familienmensch. Während mein Hirn so vor sich hin ratterte, ob es vielleicht was gäbe wo ich drüber nachdenken sollte, war die Situation natürlich längst hinübergeplaudert. Was heisst das, ein Familienmensch sein? Hat man nicht irgendwann Kinder und kümmert sich, ohne vorher groß drüber nachzudenken ob man Familienmensch ist, und dann ist man halt einer, weil man hat eben Familie? Wenn ich jetzt sagen würde, ich bin „eigentlich“ kein Familienmensch, dann könnte ich auch sagen, ich bin „eigentlich“ kein Zweibeiner. Sondern … was? Naja. Ich müsste ihn nochmal fragen, was er damit gemeint hat. Nächste Woche gehen wir Essen beim Thüringer, Duncker Ecke Stargarder, er ist ja aus Thüringen und früher war ich mit Dariusz da öfter (also das eine Mal im Jahr wo wir zusammen essen gingen). War jetzt also meine Idee. Fleisch mit Fleisch, und Soße. Gutbürgerlich. Freu mich schon.
-pb
22.06.2024 16:49
Kein Familienmensch…
Was meinen denn die Leute, die sagen: Also ich bin voll der Familienmensch? Denken sie an einen Tisch mit vielen Leuten dran, tolles Essen… Urlaube mit Kind und Kegel? Glücklich zu sein, ständig was zu organisieren, den Alltag flutschen zu lassen. Stolz zu sein, wenn alles klappt und letztendlich auch stolz, wenn es mal nicht so gut läuft, aber Lösungen gefunden werden.
Trampelpfad Familie. Eine gegründet haben, obwohl man ‚eigentlich‘ wusste: Ist nicht so mein Ding, in einem festen Verbund zu leben. Die Rollenzuschreiben auch noch, für Männer und Frauen. Ich kann den Großvater schon verstehen. Man muss das nicht mögen, ständig gefragt zu sein und sich für alles Mögliche verantwortlich zu fühlen. Hat zwar was Kindisches, Egomanes, nur sein Ding machen zu wollen. Aber wo genau liegt der Unterschied, wenn ‚die Anderen‘ ja auch nur ihr Ding machen, es einfach ihrem Charakter entspricht, ständig gefragt zu sein, zu organisieren.
KR
23.06.2024 19:05
Ja, das passt. Kein Familienmensch = kein Herdenmensch. Wobei der Mensch, ich bin mir da sicher, eigentlich ein Herdentier ist. Andere Tiere mit Sozialstrukturen, Spatzen zum Beispiel, die leben ja auch (eigentlich) nicht alleine.
Ich bin äußerst selten alleine, und immer wenn ich mal ne Weile alleine bin, dann braucht es etwas Zeit bis das angekommen ist, dann ist es schön. Zuerst hab ich irgendwie Panik.
-pb
25.06.2024 07:10
Danke für dein Feedback, ich merke, wie lange die Sache im Kreis läuft. Schon im Januar war es ja nichts grundlegend Neues. Gefangen in der Dauerschleife, Gorillas im Nebel. Um es mit Thomas Metzinger zu sagen, der Mensch ist selbstreferentiell doch ziemlich opak. Selbstreferentiell opak, also in Bezug auf sich selber undurchsichtig (Pointen erklären macht sie meist wesentlich besser, zwar unfreiwillig weil dann was anderes komisch ist als die eigentliche Pointe, aber trotzdem). Eigentlich müsste man nur zuhören, dann sagt die Welt schon was mit einem los ist. Müsste, könnte, würde.
Jetzt bin ich um Vier wach gewesen, um halb Acht geh ich los und so gegen 22 Uhr bin ich wieder hier. Hoffentlich kann ich bei der Arbeit ein kleines Nickerchen machen. Nächste Woche bin ich zum Retreat in Schweden, dann gibt es auch wieder frischere Gedanken.
-pb
25.06.2024 21:17
Just habe ich Game of Thrones (am Stück) zu Ende geschaut. Hölle, ja, MORE DRAMA, Kitsch, Ritter:in please! Die Serie besteht aus vielen parallelen Handlungen die am Ende mehr oder weniger zusammenlaufen (merken muss man sich zum Glück nichts), und der eine Handlungsstrang geht oft mit einer per Post-Raben verschickten Geheimnachricht aus dem anderen weiter, pure Magie! Viele jeweils heilige Familien, Liebe, Verrat, Geburt, Tod, besagte Magie, unabwendbares Schicksal, Blut, tausend Eide, an die eine:r sich unbedingt halten muss, während der andere nie vorhatte, sich an irgendwas zu halten, und überall diese Ehre von der immer alle sprechen. Biblisch. Richtig tolle Bösewicht:innen, Lord Baelish und Ramsay Bolton alleine hätten eigene Marvel-Reihen verdient, seelentot geboren, und, liebe Zuschauer:innen, sind wir nicht alle immer genauso böse wie wir gut sind? Trotz Tausenden von Serienstunden blieb es beim grob skizzierten Puppentheater, auf die Hauptfiguren in ihren Wesenheiten beschränkt. Warum nicht einzelne Kinofilme statt einer Serie? Warum darum, aber meine Lieblingsfilme daraus wäre „The Miseducation of Arya Stark“, „The life and death of Jaqen H’gar“ und natürlich „Jon & Ygritte, das Wintermärchen“ (mit Happy End bitte, ich steh so auf sie). Um die Stories herum gibt es Schauerlichkeiten galore, Drachen, Zombies (schon wieder!), Hellseher, Blutzauber, die meistens funktionieren aber nicht immer (sonst wäre es ja langweilig), Schlachten, Gemetzel, Softporno, unendliche Landschaften (skip, gähn, skip). Unter allem liegend, das gemeine Volk. Egal, dreckig, hilflos, ausgeliefert, es darf eigentlich nur schmutzig sein, sterben, sich prostituieren oder Waffen tragen. Fast alle, die versuchen, sich nach oben zu arbeiten sterben, nur der Adel herrscht, jetzt und immerdar. Was macht man damit? Applaus, Vorhang, danke für diese wundervolle Ergänzung zu: Die Grenzen verliefen noch nie zwischen den Völkern, schon immer zwischen oben und unten.
Jetzt gucke ich erstmal THE Batman mit Robert Pattinson. Ja.
-pb
27.06.2024 12:34
Game of Thrones… hab ich mal eine Folge geguckt, die erste von Staffel 1. Fühlte ich mich wie damals, wenn ich heimlich diese Softpronofilme auf den neuen Privtsendern guckte. Hatte beim Gucken aber auch im Sinn, dass mir so viele Leute erzählt hatten, wie gut das Storytelling in dieser Serie sei – dass es süchtig mache.
Zum Glück habe ich die Serie einfach ausgedrückt. Nicht den selben Fehler wie bei Zigaretten gemacht. Ich fand aber auch die Kostüme und Farben äußerst unansprechend.
Weil ich gestern mehrere Stunden am Kanal war, habe ich heute keinen Rausgehdruck. Sitze gerade zuhause in der Küche und trinke alkoholfreies Bier mit Zitronensaft und Eiswürfeln. Es ist sehr warm (30 Grad), was ich mag.
Als ich vorhin im Supermarkt war, um das Bier zu kaufen, stand vor mir in der Schlange eine Frau, die ich noch aus meiner Kneipenzeit kenne. Eine Stammgästin, mit aber eher geringem Alkoholkonsum (na, im Vergleich zu anderen). Sie hatte eine Flasche Sekt und einen Blumenstrauß in ihrem Einkaufskorb. Sonst nichts. Dachte ich: Vielleicht ist das ein Alkoholikertrick: Kaufst du Sekt und einen Blumenstrauß und schon sieht‘s aus wie ein Geschenk. Stellte ich mir gleich im Anschluss vor, dass ich bei wem in die Wohnung komme und da ist alles voller Blumensträuße: Aha, alles klar!
Gestern und vorgestern am Kanal: Das Wasser ist braun-rot. Oder eher rot-braun (von dem Hochwasser vor einigen Wochen). Saß ich da an den beiden Tagen und hörte immer wieder Leute (auf dem Fahrrad) auf der gegenüberliegenden Seite sagen: Oh guck mal, das Wasser ist ja total rot. Ich habe irgendwann angefangen mitzuzählen und kam auf dreißig Leute, die das sagten. Fragte ich mich, ob auch weitere dreißig oder sogar noch mehr Leute das an anderen Stellen gesagt haben. Also: wo ich saß, da war gegenüber nicht die erste Stelle, von wo aus die Fahrradfahrer auf‘s Wasser gucken konnten. Haben sie dann zuvor schon ein paarmal hingeguckt und erst an dieser Stelle den Kommentar abgelassen? Oder war es so, dass sie es auch weiter vorne gesagt haben? Ich werde es nie wissen. Wüsste ich aber gerne. Wäre mir als überflüssiges Wissen lieber als so manches andere.
KR
27.06.2024 17:25
Das italienische Restaurant im Nachbarhaus wird entkernt. Als ich vor 18 Jahren in meine Wohnung zog, war das noch ein Bistro (auch italienisch), hatte schon morgens auf, Brötchen und so. Theke mit Wurst und Käse zum Verkauf. Mittags zwei warme Gerichte, sonst nichts.
Dann, vor 17 Jahren, kam der neue Besitzer, Mario, hat das Bistro in ein Restaurant umgewandelt und das Angebot nach und nach auf die Bedürfnisse der Hannoveraner zugeschnitten. Anfänglich waren die gefüllten Nudeln noch handgefertigt und es gab Exotisches, so was wie Carpaccio aus Sellerie. Und wenn man Zabaione bestellte, klang aus der Küche das Geräusch eines Schneebesens. Aber all das handgemachte Essen verschwand von der Speisekarte. Mario (der damals auch der Chefkoch war), hat aber alles richtig gemacht: das Restaurant wurde immer beliebter, nachdem er die aufwendigen handgemachten Speisen von der Karte gestrichen und durch weniger aufwendige oder minderwertige ersetzt hatte. Gab es eben nur noch Fisch aus der Tiefkühltruhe und keine selbstgemachten Nudeln mehr. Aber alles mit viel Soße.
Und obwohl mich freute, dass immer mehr Gäste kamen, war ich doch auch ein wenig traurig: Schon wieder musste sich eine Ambition den Gegebenheiten anpassen. Werden dann über die bei der Metro eingekauften Nudeln frische Trüffel gehobelt, wie früher die überdimensionierte Pfeffermühle eingesetzt wurde. Gesten werden ausgeführt und sind wichtiger als der Geschmack.
Vor drei Jahren übernahmen Sohn und Tochter. Die Tochter brachte sich ungemein ein, spielte sich hervor und wollte nur noch Gäste mit dickem Portemonnaie bewirten (also nicht mich). Derweil stapelten sich die Kanister mit dem zu entsorgendem raffinierten Öl im Hinterhof.
Dann vor zwei Monaten: Tür zu und Tapeten vor den Fenstern. Bauschutt wurde rausgetragen. Traf ich den Sohn vor der Restauranttür, fragte ich ihn: Was geht ab? Wir machen alles neu, sagte er. Wir? Eigentlich ich, meinte er. Meine Schwester ist raus, mach ich jetzt alles nach meinen Vorstellungen (schön, dachte ich – vielleicht bin ich dann auch mal wieder Gast). Und wie lange wird‘s dauern bis fertig? fragte ich. Lange wohl, sagte er. Wenn‘s gut läuft eröffnen wir im August, aber realistisch gesehen wohl erst im kommenden Jahr.
Sie kloppen wirklich alles raus. Nervig für alle, die in den umliegenden Häusern wohnen.
Einige der Fenster des Restaurants gehen in meinen Hinterhof. Und immer, wenn ich mein Fahrrad auf- oder anschließe, gucken mir verstaubte polnisch sprechende Bauarbeiter ins Gesicht.
Heute, hinter dem einen Fenster, das mit dicken Eisenstangen vergittert ist, ein Mann, rauchend, bei den 32 Grad, die es hatte, und er mauerte hinter den Gitterstäben Steine hoch. Also mauerte das vergitterte Fenster von hinten zu. Klatsch, Mörtel auf Steine, und sein Zigarettenrauch flog durch die noch verbleibende Spalte, wie auch sein Blick. Dieser Blick durch die Spalte, zusammen mit dem Rauch. Und ich dachte: Nichts ändert sich jemals. Alles wie immer.
KR
28.06.2024 03:45
Am besten, man würde 500 oder 1000 Jahre alt oder so, dann könnte man Menschen und Familien über lange Zeit folgen wie ein fliegender Schatten und alles sehen. Was machen die Großeltern als Kinder, wie wird das, dann sind sie älter und selber Eltern, übernehmen die Läden wiederum von ihren Eltern, bauen um oder gehen weg. Eine stirbt als Kleinkind bei einem Unfall. Oder zwei bleiben und einer geht weg, wird vergessen, und was macht der dann, weit weg von allen und erstmal alleine, Höhen und Tiefen bis er dann auch eine Familie gründet, dann geht alles wieder von vorne los, als kleiner Verbund im Nirgendwo, oder er stirbt einsam und nichts weiter. Und wieder zurück, was ist denn hier passiert in der Zwischenzeit? Das würde ich gerne sehen. Man ahnt schon, das würde auch nicht klappen weil man kann ja gar nicht fliegen und auch als steinalter Weltenbummler ist man leider ständig mit sich selber beschäftigt, aber trotzdem.
Vermutung: eigentlich bleibt alles wie es ist, nur die Klamotten und die Technik drumrum ändern sich, die Sprache vielleicht ein bißchen aber was wissen wir schon, überliefert ist nur die geschriebene Sprache und das ist ja immer eine Welt für sich, künstlich, gekünstelt alleine durch den hilflosen Versuch, irgendwas festzuhalten, abzubilden – aber in meiner Vermutung sind die Urgroßeltern dieselben Menschen wie die Urenkel, wie mauernde rauchende Baustellenmenschen vor 300 Jahren schon so waren wie heute, bis sie dann nach Hause gehen, duschen, sich frisch anziehen, ihre Familie anrufen und jemand anders sind, oder nach Hause gehen, nicht duschen, sich einen reinkippen und am nächsten Tag sind sie in denselben Klamotten wieder da.
Ach das wird spannend, in 1000 Jahren kann man noch das Internet von heute anschauen, es ist jetzt schon belanglos, ob die Seite von gestern oder von vor zehn Jahren ist, und sich dann anschauen, wie die Leute heute waren. Nicht mehr so steif wie auf den Schwarzweissfotos von früher, wo die Menschen die Augen extra lange offen halten mussten und man denkt gleich, die Menschen selber müssten damals auch irgendwie steif gewesen sein. Oranienburger Ecke Auguststraße steht ein altes Wohnhaus, Fien de Siecle, das ist relativ Quietschorange, fast schon ein Orange-Apricot-Warnweste Mix, und an diesem Gebäude wurde die Farbe genauso restauriert wie sie vor über 100 Jahren am Originalgebäude war, was sich aus tiefliegenden Farbschichten rekonstruieren ließ. Oder wirken Tiktoks in 100 Jahren so knarzig wie die Fotos von damals es heute tun? Wie es dann wohl wird.
Drei Familien, Abzweigungen aus dem langen, losen Verbund meiner Westverwandtschaft, sterben mit unserer Generation aus, weil meine Cousins und Cousinen keine Kinder haben. Da wird nichts weitergehen. Alle drei Zweige kommen aus eigentlich mal viele Menschen gezählt habenden Zweigen. Der Bruder meiner Mutter hat nur einen Sohn, der ist schwul, das heisst ja eigentlich nichts, bei ihm aber schon. Dann mein Patenonkel, er hat zwei Töchter und einen Sohn, also eigentlich eine solide Ausgangsbasis aber nix mit Nachwuchs, also Ende Gelände. Vielleicht noch der Sohn aber er hadert (for life). Die dritte Familie, etwas entfernter verwandt, um die ist es besonders schade weil ich sie gerne mag, die Alten sind nicht ganz so gestört wie die Kernfamilie meiner Mutter und die Jungen auch nicht. Aber auch dort – in unserer Generation drei Geschwister die selber keine kinder haben, aus die Maus. Ihr Zug endet hier, sie brauchen nicht auszusteigen.
-pb
28.06.2024 18:21
Gerade erinnerte ich mich daran, wie ich mir früher des Öfteren, wenn ich Lust hatte zu schreiben aber nicht wusste worüber, einen leeren Raum vorgestellt habe, wo Leute reinkommen und in einen Dialog gehen. Ich habe sie sprechen lassen und mitgeschrieben. Sobald das Gespräch in eine Sackgasse geriet, ließ ich sie rausgehen, ging hinterher, guckte was sie machen und habe auch das verschriftlicht. Meist langweilte ich mich beim Mitschreiben, denn es passierte nie etwas Interessantes. Aber ich sagte mir: Zumindest hast du deine Lust aufs Schreiben befriedigt. Vielleicht hast du dir damit sogar erfolgreich die Lust aufs Schreiben genommen, siehst endlich ein, dass es besser wäre Freunde zu treffen, ein Eis essen zu gehen oder die Wohnung aufzuräumen, anstatt stundenlang an einem Tisch zu sitzen, imaginierte Menschen zu verfolgen, denen nicht viel mehr einfällt, als Freunde zu treffen, Eis essen zu gehen und die Wohnung aufzuräumen.
Vielleicht war mein Leben damals noch etwas dünn. Wobei ich nicht sagen würde, dass ich jetzt ein dickes Leben hätte.
KR
29.06.2024 07:07
Wir sind hier einfach viel zu viele Leute in der Wohnung. Nowhere to hide und immer guckt mir eine:r in den Rechner. Sogar in meiner Sofaecke um sieben Uhr morgens. Karo setzt sich neben mich, sie will jetzt einkaufen, zum Kaufland wo um die Zeit noch die Junkies vor dem Eingang liegen. Jetzt, Äpfel sind alle! Da läuft auch schon der Opa durchs Wohnzimmer. Peinlich, ich ziehe mein im Halbliegen hochgerutschtes Unterhemd über den Bauch. Guten Morgen, ja, dir auch.
In letzter Zeit verzehrt mich gradezu der Wunsch, was romantisch-kitschiges zu schreiben. Soll sich auch gut verkaufen. Eine romantische Liebesgeschichte mit Softporno, umarmte halbnackte Schönheiten auf dem rosa lila Cover. Kann ich so ungefähr gar nicht. Andere machen das am Fließband. Warum nicht Groschenromane. Hauptsache, es schmerzt nicht zu doll beim Schreiben und bringt den Schampus ins Glas.
Vielleicht was Bekanntes abschreiben, die Handlung durchpausen, Veränderungen hier und da, Zeit, Ort, und wenn man nicht grade Herr der Ringe nimmt, merkt es bestimmt keiner. Das wäre auch egal weil sich sowieso alles immer wiederholt.
-pb
29.06.2024 17:25
Mathe, ich war erst Mittelfeld, dann richtig schlechter Vierer, dann kam einmal ein neuer Lehrer und mir ging die ganze Schönheit der Zahlenwelt auf, erstmal in Geometrie (bis heute mag ich das), die Schönheit der Striche, Dreiecke, Konstruktionen. Ein warmherziger Mensch mit der richtigen Sprache, Name vergessen, keine Ahnung was für Verschraubungen in meinem Hirn sich da entrosteten, auf einmal schien in Mathe die Sonne, die Zahlen glitzerten hell und ich wurde zum soliden Zweier. Dann, ich komme eines Morgens in die Klasse gerannt, wie so oft viel zu spät, und da sitzt ohne Vorwarnung eine andere Person, eine Frau, Gerüchten zufolge war sie nach einigen Schlaganfällen zurück im Beruf. Mein Gesicht muss entgleist sein, die ganze Klasse kicherte, ich war eh irgendwas zwischen Querschläger und Clown. Ab da ging es wieder bergab, sie konnte machen was sie wollte, sie war wirklich gutherzig, wollte mich motivieren, gab mir Streichelnoten. Kurz vor dem totalen Absturz, dahin zurück wo ich hergekommen war, hatte ich sogar mal die 15 Punkte.
In Kunst blieb einem nichts als abwählen, Maltechnik, Zeichnen, aufs Blatt scheißen oder eben gar nichts machen -Dada war im wesentlichen kapiert, und was soll man sich hinsetzen und durch irgendwelche Stile durchbummeln und vorne sitzt eine:r und entscheidet, das ist jetzt „gut“ oder „schlecht“? Wozu das denn, um Himmels Willen. Kunst als Ausdruck spielt im Unterricht seit je her eine untergeordnete Rolle, schließlich sind wir sind hier nicht in der Selbsterfahrung. Wie es in Deutsch auch nur darum geht, ob du nach den Regeln schreibst und sie am besten auch noch kennst.
Ich hatte Englisch LK und war so schlecht, grade noch bewertbar, die Lehrerin eine alte Klapperlesbe, und ihre Herzchen, die ich damals auch gern flachgelegt hätte, die aber einfach zu clean waren für mich ungewaschenen Köter, saßen literally bei ihr auf dem Schoß (als sie den Kurs mal zu sich nach Hause eingeladen hatte). Ich knabberte an meiner Scheibe Mortadella, sah ihnen bei ihrem harmlosen Geturtel zu und verstand die Welt. Die hatten die Einsen? Na sowas.
-pb