März 2024

Fr 01.03.2024 19:22

Ich bin so hinterwäldlerisch, was das Wissen über die Produktpalette von Haushaltsgegenständen angeht. Ich kenne nur, was es im Baumarkt gibt. Und da gucke ich mich eigentlich auch nicht im Sortiment um, sondern gehe – so weit als möglich – zielstrebig auf die Dinge zu, die auf meiner Einkaufliste stehen. Und wenn ich sie nicht finden kann, frage ich. ‚Können Sie mir sagen, wo die Klobürsten zu finden sind?‘, ‚Können Sie mir zeigen, in welchem Gang die Klobürsten sind?‘,  ‚Können Sie mich bitte bis zu den Klobürsten begleiten?!‘

Nun, seit Jahren trocknen wir die Wäsche zuhause auf der Heizung, auch im Sommer, wenn sie ausgeschaltet ist. Und zusätzlich auf Kleiderbügeln, die dann an irgendwelche Kanten gehängt werden. Denn ein Wäscheständer würde nicht nur zu viel Raum einnehmen, sondern auch gar nicht ausreichen; zudem machen die dünnen Stangen so hässliche Knicke in die Kleidung. Weswegen das Produkt Wäscheständer als Möglichkeit zum Trocknen unserer täglichen bis zu drei Maschinenladungen für mich ausgeschieden war.

Aber dann lag der letzten Wochenendausgabe der taz ein Dinge-Katalog bei. Darin alles, was man zuhause so brauchen könnte. Überflüssiges und Nützliches. Was soll ich sagen? Ich wusste einfach nicht, dass es Turmwäscheständer gibt. Der im Katalog angebotene kostete allerdings 100 Euro. Aber ich konnte ihn einfach nicht vergessen – kam allerdings erst am Montag, während der Arbeit, auf die Idee, im Internet nach günstigeren Modellen zu gucken. Im Ernst, ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, das Netz als Einkaufsort zu nutzen. Es war – und ist auch immer noch –  nicht wirklich bei mir angekommen, dass es ‚dort‘ wirklich alles gibt. Wobei, das muss ma ja auch sagen, ich nur anhand des Katalogs über die Existenz der Turmwäscheständer infomiert worden war. Als ich die dann googelte, war ich erschlagen. So viele unterschiedliche Modelle zu so unterschiedlichen Preisen! Ich habe die darauffolgenden Tage, bis Mittwoch, weitergeguckt, und schließlich ein Modell gefunden, das alles bot, was ich wollte. Beinahe hätte ich es bestellt, fand dann aber das gleiche Modell als B-Ware. 24,99 Euro, ohne zusätzliche Lieferkosten. Wie kann das sein, fragte ich mich. Das Teil wird gekauft, zurückgeschickt, geprüft, wieder verpackt und erneut abgeschickt. Diese ganzen Prozesse sind doch kostenmäßig gar nicht abzudecken über den Preis. Ich hatte mir eigentlich auch geschworen, Gebrauchsgegenstände nur über Kleinanzeigen zu kaufen, und nur zum Selbstabholen. Habe das Teil aber doch bestellt.
Heute war ich dann bei der Postfiliale. Laut einer E-Mail lagerte mein Paket dort schon seit gestern. Es war aber noch nicht da. ‚Sie müssen auf den Sendungsverlauf gucken. Alles andere gilt nicht.‘ So viel zu lernen.
Gut aber, dass das Paket noch nicht da war. Denn ich gehe davon aus, dass der vierstöckige (1,9 m hohe) Turmwäscheständer in Einzelteilen geliefert wird. Jede einzelne Stange ganz eigenständig von mir in Löcher gesteckt und hunderttausend Schrauben angezogen werden müssen. Ich bin eine recht gute Zusammenbauerin, aber nur, wenn ich ausreichend Platz und Zeit habe. So ein Paket zwischen Gerümpel auszupacken, quasi ohne freie Bodenfläche, ist einfach keine gute Sache. Mache ich morgen also erstmal Platz im Wohnzimmer und dann: Nur her mit dem Legobaukasten.

Ich habe übrigens mal ein Ikea-Etagenbett alleine aufgebaut. Hat super geklappt. Hatte nur nicht daran gedacht, das Bett in dem Raum aufzubauen, wo es stehen sollte. Es wollte einfach nicht durch die Tür passen. Weil ich es nicht selber gekauft, sondern von Bubis Schwester übernommen hatte, konnte ich meiner Wut Folge leisten (denn ich hatte ja kein Geld ausgegeben) und habe das Bett zerkloppt und die zersplitterten Kieferholzstücke in den Restmüllcontainer entsorgt.

KR

Mo 04.03.24 22:14

Turmwäscheständer.. gucken.. ja, nicht schlecht! Wenn Wäschetrockner nicht restfeuchte Sachen auswerfen würden, die man immer noch aufhängen müsste für die letztendliche Trockenheit, oder sie ganz trocken aber dann eben viel zu trocken sind, und sie als eigentlich überflüssiges Gerät viel Strom verbrauchen würden, wäre das bestimmt auch ne Option. Wäschetrockner sind einfach nicht gut.

B-Ware, Rücksendung, Neuverkauf. Ungenutzte Munition in Kriegen – Granaten, Raketen und so – wird ja meist gar nicht wieder zurück transportiert und wiederverwendet, die wird zurückgelassen, erst recht in anderen Kontinenten. Lohnt sich alles nicht, der aufwendige Transport, die neue Lagerung, Wartung und Instandhaltung. Da kommen dann windige Waffenhändler ins Spiel mit blitzenden Sonnenbrillen, die das Zeug billig aufkaufen und in anderen Kriegen wieder loswerden.

Ich gehe gern zu den Somatikern. Es ist immer alles möglich. Besser, beide Seiten zu hören. Manchmal muss man eben auch den Körperärzten nachhelfen mit Ideen, wie bei deiner Mutter. Die Streptokokken letzten Herbst – ich hatte das auch, war beim Hausarzt und er kam nicht auf Streptokokken, sag einen normalen Infekt, bis ich dann 2 Wochen später wieder da war und das von den anderen erzählt hab (ich hab natürlich auch nicht früher dran gedacht, aber es ist ja auch sein Job, nicht meiner). er so, sorry, tut mir leid, hier Ihre Antibiose. Ist ok, Doc, lange Krankschreibungen haben Vorteile.

Apropos Somatik, ich hab seit vorgestern meine neue Schöniglichkeit am Arm, zwei Nachmittage hintereinander oder netto sechs bis sieben Stunden nur das Stechen. Dauerschmerz, Atmen, Fokussieren, pures Sein. The Pain Meditation. Das Schönste, wie bei der anderen Meditation, der Zeitverlust. Wie lange geht es schon, wie lange bin ich hier? Zehn Minuten? Zwei Stunden? Keine Ahnung. Anders als bei der gesunden verliere ich aber nicht den Ort /Raum, ich bin ganz genau da wo der Schmerz ist.

Die Frau sagt, sich tätowieren lassen wäre SVV by proxy, das ist eine Wortneuschöpfung von ihr, gebildet aus Selbstverletzendem Verhalten (Ritzen und so, als Kürzel SVV) und Münchhausen by proxy. Das Münchausen Syndrom (ohne proxy) besteht im vortäuschen einer Krankheit, um sich eine bestimmte Sorte Aufmerksamkeit zu sichern (wie sekundärer Krankheitsgewinn, nur eben als Leitsymptom), Münchhausen by proxy ist ebenfalls eine Fachdiagnose und meint, wenn jemand bei anderen eine Krankheit vortäuscht oder erzeugt, Kinder, Partner, um sich als arme Samariterin wiederum die Aufmerksamkeit und Bewunderung zu sichern (im übrigen die einzige Tötungsmethode, manchmal werden die eigenen Kinder langsam vergiftet oder so, die fast 100% Täterinnen hat, insgesamt sehr selten auftretend und auch schwer zu identifizieren). Tätowieren SVV by proxy zu nennen ist absolut stichhaltig. Wer ließe sich denn tätowieren, derdie nicht irgendwie den ultimativen Fokus will, auf Schmerzen steht? Von anderen zugefügt, Werkzeug meiner Autoaggression? Now you’re talking. Die Narben, sublimiert in der Kulturtechnik. Eine Frau auf der Liege nebenan hat sich ein Blackwork auf den Bauch machen lassen, so von unten die Brüste umrandend, das Muster war so ultraklischee, wie aus dem Internet runtergeladen, sie haben über den Preis gesprochen und sie hat viel mehr bezahlt als ich. Der innere proxy war, me gegen myself gegen I? Tätowieren ist seit Jahrzehntausenden sowieso eine rituelle Verletzung mit dem Ziel der Vernarbung. Wenn jemand im Knast gegen seinen Willen im Gesicht tätowiert wird, dann kommt der Gewaltaspekt nochmal extra raus, gegen sich, gegen andere.

Die Tätowiererin, Emma aus Ukraine, Mitte 20 vielleicht oder knappe 30 aber aussehend wie 18, sie ist so outstanding mit ihrem Ding was sie macht, ich hab ihr kaum Vorgaben gemacht trotzdem es ja mein Körper ist, my body my choice. Devise laufenlassen und nicht reinreden, das Risiko ist groß, bisschen mulmig wurde mir schon, aber größer wäre es, würde ich ihr reintexten wie es meiner Meinung nach auszusehen habe und dann kommt am Ende eine grässliche Chimäre dabei raus. Sie selber von oben bis unten schwarz vernarbt mit kaum Haut dazwischen, zum Schluss hat sie mir noch ihr Makeover gezeigt, über die linke Oberkörperhälfte bis runter zum Knie, alles schwarz meliert weil ihr das von vorher nicht mehr gepasst hat. Beim arbeiten wollte sie nicht quatschen, Earpods die ganze Zeit, sympathisch und ich musste eh meditieren. Tätowierer sind näher an deinem Körper als die Frisöre, dringen in deinen Körper ein und bereiten dir extreme Schmerzen, null Wellnessfaktor ausser man steht drauf. Bei Emma kein Tropfen Blut, sie sollte Chirurgin sein, bedeutet, sie sticht nicht tiefer in die Haut als die oberste Schicht, bis keinen halben Millimeter tiefer dann das Blut da ist. Das ganze Adrenalin, jetzt bin ich noch voll druff, wenn wir uns das nächste Mal sehen habe ich vermutlich vergessen, dass ich tätowiert bin. Who cares. Black lines matter.

Ich lenke mich ab, eigentlich will ich ja die Kaderseite hochladfertig machen. Koche ich mir einen Kaffee.

-pb

Do 07.03.2024 21:48

Mut zum Nicht-machen, empfahl ich neulich Thies. Sachen einfach nicht machen.
Er ist sehr gestresst in letzter Zeit. Ich fügte noch an: Nicht unbedingt zieht es einen Schaden nach sich, lässt man was liegen. Ich redete eigentlich zu mir selbst.
Kommt mir gerade ein Cartoon in den Sinn: Eine große Menschenmenge und einer, der hinzukommt, fragt: Was ist denn hier los? Antwort: Der Letzte, der es wusste, ist vor 5 Minuten gegangen.

‚Selbstverletzer by proxy‘. Guter Anmerk von deiner Frau, in Bezug auf deine neue Tätowierlust und die Schmerzen, die das mit sich führt. Schmerzen über Stunden, wie du mir schriebst. 
Aber geht es nicht meist doch um das Ergebnis und nicht um den Schmerz, der dafür auzuhalten ist?  Also ich kenne jetzt keinen Frauen, die Kinder gebaren, nur weil sie den Geburtsschmerz haben wollten.

Ich habe mir vorgestern beim Regenschirmaufspannen den Daumennagel bis zur Hälfte abgerissen. Kam aus der Zahnarztpraxis und war auf dem Weg zu Klaus als das passierte. Es blutete wie Hölle und ich presste den Nagel erstmal einfach nur wieder fest an und dachte: Ach so fühlt sich das an, wenn einem Mafialeute die Fingernägel abreißen. Jetzt wird das aus dem Film Betrachtete zu einer erlebten Erfahrung. Ohne Mafia, nur durch Regenschirm und Ungeduld. Der Schmerz, den habe ich bis jetzt noch. Es pocht. Das Anpressen scheint sich aber gelohnt zu haben.

KR

Fr 08.03.2024 01:00

Wenn ich Schmerzen habe, dann mache ich meinen Schmerz zu einem Ding. Zu etwas, das außerhalb von mir ist. Zu einer Art Handtasche. Es ist eine bewusste Entscheidung zur Verdinglichung. Wenn ich aber Verletzungen habe, die mir unheimlich sind, falle ich einfach in Ohnmacht (aber auch nur, wenn da jemand ist, der mich auffangen kann).

KR

Fr 08.03.24 8:58

Mittwoch wieder beim Nierendoc – ich soll jetzt Blutdruck messen, weiter beobachten, die Werte nicht wirklich Ok aber auch nicht so, dass man Medikamente geben müsste, also weiter beobachten. Oh Hilfe. Zwischendurch kam die Schwester rein, ob er Spanisch spreche, da wäre eine Patientin. Er lachte, nee leider nicht, yo no hablo espanol, was auch mein einziger Satz und einer von meinen zwei Witzen auf Spanisch ist. Ich war kurz versucht, den anderen zu machen, dass ich nur drei Worte auf Spanisch kann: Döner, Pizza und Fuck Off. Ließ es dann aber bleiben, weil ich danach so viel erklären hätte erklären müssen, und um nicht wie ein Nazi oder Vollidiot dazustehen.

Stimmt natürlich, reine SVV by proxy wäre, wenn man sich sozusagen foltern lässt, also die Verletzung das Wesentliche ist und es keinen weiteren Sinn hätte. Bei der SVV ist die Verletzung das Mittel zum Zweck (Schmerz und relief), und natürlich das füttern/bekämpfen von guten/bösen inneren Objekten, aber wenn man Schmerz als den eigentlichen, unbewusst zugrunde liegende Zweck für ein Tattoo sehen würde? Man verletzt sich normaliter auch nicht bewusst, das ist ein riesen Tabu, sondern tut eher intuitiv etwas, damit die innere Spannung abnimmt. Da könnten schon Parallelen auftauchen.

Was du geschrieben hast, wie du mit Schmerzen umgehst … sehr interessant für mich. Snoop snoop.

Bei meinem Ersten hab ich den Tätowierer gefragt was er denkt, warum es grade so in Mode ist, warum sich die ganze Welt tätowieren lässt, und er meinte, weil die Leute sich selber ausdrücken wollen, individuell („express yourself“), und ich dachte, danke du Tröte, jetzt laufen wir im Kreis weil man auf die Frage, warum so viele Leute sich (auf eine bestimmte Art) ausdrücken wollen nicht antworten kann, weil sie sich ausdrücken wollen. Später merkte ich, dass meine Frage eigentlich eine andere ist – warum ist es so epidemisch, sich selber so krasse Schmerzen zuzufügen, um sich auszudrücken. Bei der letzten Sitzung erzählt der Typ an der Nebenliege (der das Bauch-Blackwork gestochen hatte), er habe eine Schätzung gelesen, nach der, gemessen an der Menge der Bestellung von Einweg-Nadel-Aufsätzen für die Tätowiermaschinen, allein in Berlin 50.000 Tätowierer:innen arbeiten müssten. Selbst wenn die Schätzung etwas hoch greift ist das alles nicht mehr normal (doch, eben). Der Client eine Liege weiter (nordisches Muster vorne am Oberschenkel) meinte, ihm könne niemand erzählen, er/sie würde sich gerne tätowieren lassen. Tätowiert sein ist cool, aber tätowiert werden, diese abartigen Schmerzen, das könne ihm wirklich keiner erzählen. Noch eine Liege weiter gab’s für einen blassen, teigigen Jungen Anfang 20 einen Legofiguren-Kopf und ein Schachpferd auf den Bauch und dann saßen dazwischen noch zwei Frauen sich gegenüber, quatschend die ganze Zeit wie bei der Maniküre, während die eine sich von der anderen eine nackte Elfin mit Flügeln in den Unterarm machen ließ. Hatte sie doch schon eine eine fast genauso aussehende auf dem Oberarm. Elfensammlerin.

Ich krieg so superschnell die Gegenfarben, also das bunte Nachbild mit der Negativfarbe, wenn ich kurz die Augen zumache. Gestern in der Dusche war auf einmal alles strahlend blau, jetzt hab ich hier in der Mail aus versehen alles markiert (grün), dann war die Schrift gleich kurz lila/blau. Was soll das nun wieder. Na gut, wenn ich starke Erkältung hab macht mein Kopf immer so komische Dinge (die Wertung und Überbewertung von Vorkommnissen, verstärkte Sensiblisierung und Denkschleifen wie bei Migräne). Putzen, Katzenklos machen, saugen, mich frisch anziehen, dann mal sehen. Etwas Bewegung wird mir gut tun. Die eine von den Katzen bumpt neuerdings mit der Schulter gegen die verschlossene Küchentür um reinzukommen. Test Test. Manchmal ist die Tür nicht richtig zu, sie klemmt nur ein wenig im Rahmen, das hat sie schon gemerkt. Jetzt fetzen die beiden hier rum und jagen sich und machen was sie sollen (niedlich sein). Ein halbes Jahr sind sie nun alt.

-pb

Mo 11.03.24 16:46

Die Schnittmenge meiner verschiedenen Leben, was stößt mich ab, was zieht, warum bin ich so ein Grenzgänger, was darf ich, was darf ich nicht und warum. Oder, warum sage ich dieses und das nicht. Nur weil eben keine:r in meiner sozialen Blase über Tabuthemen spricht? Sollte ich nicht lieber die Blase wechseln? Damit kommen wir zu „100% Anonymität for the wirkliche künstlerische Freiheit“.

Apropos, ich wollte ja unser Tumblr mit Link zur Kader-Seite stehen lassen und möglichst jeweils einen (nicht unbedingt sinnvollen, du weisst schon) Text von uns darunter, den Rest löschen. Hast du da Lust zu, und suchst du einen von dir aus? Muss ja nicht neu sein.

Meine Erkältung ist am Schwinden, drei Kreuze. Endlich wieder vernünftig rauchen. Im Mai beim Kali Day im Ashram werd ich volunteeren. Es arbeitet weiter mit- und gegeneinander.

-pb

Mo 11.03.2024 20:22

Hier die Erzählung über einen Klinikbesuch. Hatte ich noch auf meiner Liste, diese Verschriftlichung. Ist recht lang geraten und das Ende fehlt noch.  

Ich weiß nicht, ob es etwas damit zu tun hatte, wie ich mich kleide, welche Frisur ich trage, wie meine Gestik ist. Was aus all den Merkmalen abgelesen wird, die von außen sichtbar sind. Und ob das Abzulesende überhaupt eine Rolle spielt oder nicht vielmehr immer das gleiche gesagt wird zu Leuten, die jemanden in einer Entzugsklinik unterbringen wollen, und zwar jetzt sofort, auch wenn dies den Aufnahmeregelungen widerspricht.

Wie oft mögen die Ärzt*innen in der Aufnahme Angehörige oder Verantwortung übernehmende Personen erlebt haben, die einfach nur noch abgeben wollten. Die an dem Punkt waren, wo sie dachten und deutlich machten: Übernehmt jetzt ihr, denn für mein Empfinden habe ich genug geleistet. Jetzt muss wer anderes ran. Vielleicht hinter diesen Personen noch Freunde, die mit Nachdruck darauf pochen, die Verantwortung endlich abzugeben, denn sonst…Das geht doch so nicht, du machst dich kaputt. Und das ist auch alles gefährlich, nicht nur für dich.

Die Aufnahmeregelungen in der Klinik, in der Bubi vier Mal innerhalb des vergangenen Jahres zum Entzug war und ich ihn aber nun das erste Mal persönlich dorthin begleitete, die kannte ich: Entzugswilliger muss sich eine Überweisung organisieren und dann in der Klinik anrufen, zwischen 14 und 14:30 Uhr, und um Aufnahme auf die Warteliste bitten. Rufen Sie morgen nochmal an, heißt es üblicherweise beim ersten und und zweiten Versuch. Beim dritten meist: Kommen Sie morgen um 9 Uhr, dann nehmen wir Sie auf. Einfach hinfahren und um Einlass betteln: geht nicht.
So oft war Bubi in Zuständen, wo wir dachten: Ab ins normale Krankenhaus, wenn die Entzugsklinik sich weigert ihn sofort aufzunehmen. Denn sonst stirbt er uns weg. Aber solange jemand noch bei Bewusstsein ist, noch irgendwie stehen und reden kann, kriegt er auch im Krankenhaus kein Bett. Weswegen Bubi nun im letzten Jahr oft bei uns zuhause war für ein paar Tage, bis zur Aufnahme in die Entzugsklinik. Immer rief Bubi Thies an: Ich kann nicht mehr, ich kann wirklich nicht mehr, darf ich zu euch, bis ich in die Klinik kann? Kam er dann, oft mit dem Taxi, manchmal auch zu Fuß in Begleitung von Thies, und wenn ich nach der Arbeit nachhause kam, lag er auf meinem Schlafsofa oder stand in der Tür vom Wohnzimmer und begrüßte mich, egal ob er lag oder stand, immer unter Tränen mit den Worten: Es tut mir so leid, nimmst du mich bitte mal kurz in den Arm?

Dies Mal waren schon vier Tage des Wartens vergangen. Es war Tag fünf mit Bubi in unserer kleinen Wohnung. Es war ein Montag. Thies hatte seit zwei Tagen Fieber, blieb zuhause, zusammen mit Bubi. Ich ging zur Arbeit und Lollo zur Schule. Als ich am späten Nachmittag nachhause kam, stand Thies mit rotem Kopf im Flur. Papa liegt auf dem Sofa. Er hat angerufen, aber hat nicht geklappt. Ich leg mich jetzt mal wieder hin, sagte er und verschwand. Als ich die Bier- und Vodkaflaschen einsammelte, hörte ich Thies im Wohnzimmer telefonieren: Ja, eine Überweisung hat er. Nein, er ist nur notversichert. Ich wollte ja nur nochmal nachfragen. Gut, rufen wir morgen wieder an.

Ich sah die Woche vor uns liegen. Die Kranken, im Bett und auf dem Sofa. Wie ich sie pflegen würde. Und ich sah rückwärts, die zu vielen Wochen im vergangenen Jahr, in denen vor allem Thies ständig für seinen Vater da war. Auch bei ihm zuhause war, nach ihm schaute, ihm Essen brachte, bis es eben nicht mehr ging, er aufgab und zurückkam, aber schon wusste, dass Bubi anrufen würde und darum bitten zu uns kommen zu dürfen. Eine Unmenge an Fehlzeiten in der Schule die Folge daraus, für Thies. Auch, weil er nach jeder dieser Betreuungsperioden krank geworden war. Dies Mal war Thies nun aber schon krank geworden, bevor sein Vater in der Klinik untergebracht werden konnte. Vielleicht war sein Körper auf die üblichen drei Wartetage eingestellt – konnte nicht mehr an sich halten und er wurde krank, bevor Bubi in Sicherheit war.
Los jetzt, sagte ich zu Bubi, fahren wir in die Klinik, probieren wir es. Wir haben ja die Überweisung mit dem Vermerk ‚Notfall‘. Das hat doch schonmal geklappt damit.

Sie kennen ihn dort. Auch die nette junge Aufnahmekraft kannte ihn. Was möchten Sie trinken? fragte sie uns. Tee? Kaffee? Wasser? Bubi fing an zu weinen. Sie sind so nett! Danke, danke, dass sie so nett zu mir sind. Zu uns, meine ich. Dies ist meine Frau. Meine Ex-Frau, die Mutter meiner Kinder. Sie war noch nie hier, also ich meine, sie kennt das hier noch nicht. Ach so, ja, was will ich trinken?! Guter Witz. Aber ich hätte gerne einen Tee.
Ich durfte mir auch ein Getränk wünschen und als die Aufnahmekraft mit den beiden Teebechern zu uns zurückkam, ließ sie Bubi ins Röhrchen pusten. 3,5 Promille. Oh, sagte Bubi. Letztes Mal waren es 2,7.
Ja, 3,5, ganz schön viel, meinte die Aufnahmekraft. Weiß ich jetzt gar nicht, ob Sie damit noch in unseren Zuständigkeitsbereich fallen. Vielleicht müssen wir Sie in ein normales Krankenhaus überweisen. Aber letztendlich kann das nur der Doktor entscheiden.

Ich hatte noch gar nichts gegessen an dem Tag und es gab keinen Snackautomaten, kein Ding mit Nüssen und Schokoriegeln, wie in normalen Krankenhäusern. Ich hab Hunger, sagte ich zu Bubi, nachdem die Aufnahmekraft wieder durch die Tür verschwunden war, in den Bereich, zu dem es keinen Zugang für Wartende gibt.
Die Cafeteria hat schon zu, meinte Bubi, die macht schon um 5 zu. Geh ins Shoppingcenter, hol dir da was. Oder lass uns zusammen gehen. Ich hab auch Hunger. Gebratene Nudeln vielleicht, vom Asiamann. Aber nee, kotz ich nur von. Geh du doch alleine, hier, mein Portemonnaie, hol dir was zu Essen und ich geh zur Tanke, haha.
Bleiben wir hier sitzen, meinte ich. Wir sollten nicht weggehen.
Aber hol du dir doch was zu essen, drängte er. Hier, mein Portemonnaie, nimm.
Versprichst du mir, fragte ich ihn, dass du nicht weggehst?
Ich versprech lieber nichts, meinte Bubi. Als Alkoholiker macht man keine Versprechungen. Das sagte er aber nicht an mich gewandt, sondern in Richtung der Frau, die vor einer Weile schräg gegenüber von uns Platz genommen hatte, auf einem der insgesamt ungefähr zehn Polsterstühle, die miteinander verbunden waren wie Kinosessel. Die Frau war zur unfreiwilligen Zuhörerin unseres Entscheidungsprozesses geworden. Ihre kurzen Blicke zu uns rüber wie die eines Rehs im Fluchtmodus, aber ihre Art zu sitzen erinnerte an einen Panda. Bislang hatte sich niemand um sie gekümmert.
Als Bubi und ich uns dann darauf geeinigt hatten weiter zu zweit zu warten, kam die Aufnahmekraft zurück und sprach diesmal die Frau an: Sie können hier zwar sitzenbleiben, aber Sie müssen sehr wahrscheinlich bis zu vier Stunden warten und werden dann eventuell trotzdem nicht aufgenommen. Als die Frau nicht reagierte, sagte die Aufnahmekraft, dass es ihr sehr leid täte. Und als die Frau immer noch nichts sagte, wiederholte die Aufnahmekraft ihren Text mit der Wartezeit. Nach einer kurzen Zeit der Stille sagte die Frau dann: Aber ich hatte doch einen Termin, ich sollte doch kommen. Sie umklammerte dabei ihren Rucksack, an dem ein kleiner Stoffmausanhänger baumelte. Ich bleibe hier, ich warte. Ich geh nicht wieder nach Haus, sagte sie, ohne dabei ihre Stimme zu heben. Darf ich Ihnen was zu trinken bringen? fragte die Aufnahmekraft, und ging, als keine Antwort kam.

Ist ja ziemlich kalt draußen, meinte Bubi zu der Frau. Und fragte sie dann, auf welche Station sie wolle. Sie antwortete nicht. Bestimmt nicht auf die, wo ich hinwill, sagte Bubi. Ich bin Alkoholiker. Leider.
Ich habe Depressionen, sagte die Frau, ohne uns anzugucken. Bubi ließ sie in Ruhe, verfiel aber trotzdem in einen Redeschwall. Er redete über vergangene Urlaube, seine Eltern, unsere Kinder, über die Historie seiner Trinkgewohnheiten und darüber, was er alles falsch gemacht hatte. Er sprach in meine Richtung, aber doch, so schien es mir, wollte er nur die Frau alles wissen lassen. Ich kommentierte seine Ausführungen so sparsam wie möglich, denn ich bildete mir ein, die Gedanken der Frau hören zu können: Schweigt. Schweigt doch einfach, ihr fröhlichen Menschen.

Jede fremde Person im Außen als Möglichkeit, Geständnisse abzulassen und von sich selbst zu erzählen. Lässt der Alkoholiker, egal wo, egal wem gegenüber, alles raus. Will klarstellen, dass er seine Umgebung noch wahrnimmt und dass sein Gehirn noch auf Zack ist. Hallo Taxifahrer, du hast bestimmt viele meiner Sorte gefahren. Iraner? Dein Schicksal wollte ich nicht teilen, tut mir leid. Du bist bestimmt schlau und musst trotzdem Taxi fahren. Ich bin Muttersöhnchen und Alki, ist auch nicht so gut gelaufen bei mir. Na ja, meine Schuld. Anders als bei dir.
Alle sollen wissen, dass er kein Geheimnis aus seiner Sucht macht – und dass er ein netter Mensch ist, trotz allem. Und dass er noch alles versteht. Und sie, die Leute, der Kioskbetreiber, der Taxifahrer, die Person vor dem Geldautomaten, und wen wir noch alles auf dem Weg getroffen hatten, ja, sie haben ihm geantwortet, in einfacher Sprache und mit großer Nachsicht. Aber wirkten insgesamt nur wie Zuschauer in einem Kaspertheater: Lachen, wo es nicht lustig ist und zum Zuhören verdammt. Der Alkoholiker weiß das, er weiß, dass er sein Umfeld zu Zuschauern macht, indem er redet und redet, sich um Kopf und Kragen redet – seinen Gegenübern dabei nur eine lächerliche Figur hinhält, eine, die man nicht ansprechen kann. Ja, wie im Kaspertheater.

Nach vier Stunden Wartezeit in dem Flur – die Frau mit den Depressionen war auch noch da – wurde Bubi von der Aufnahmekraft aufgefordert mitzukommen. Der Herr Doktor hat jetzt Zeit, sagte sie vorweg. Darf ich auch mit? fragte ich. Und schob hinterher: Nicht zu dem Gespräch, natürlich nicht, aber kann ich irgendwie mitkommen?

Bubi wurde in einen Raum geleitet, vor dem ein kleiner Tisch und zwei Stühle standen, vor einer großen Milchglasscheibe. Ich setzte mich dort hin. Ich durfte mich dort hinsetzen.
Ich konnte hören, was Bubi zu dem Arzt sagte. Nicht alles, aber einiges. Bubis Stimme ist durchdringend und hoch. Wenn er singt, hat er allerdings eine tiefe Stimme. Das weiß ich, denn wir haben früher zusammen Musik gemacht. Im Sprechalltag versieht er seine Stimme aber mit viel Druck und pitcht sie hoch. Er hat das von seiner Mutter übernommen, und hat diese Tonlage auch an Lollo weitergebeben, den er in der Phase des Abstillens oft über Nacht in seine WG mit dem Maurermeister mitgenommen hatte.

Ich hörte Bubi sagen: Ich will nach Portugal. Da hab ich ein Haus. Meine Eltern auch, haben da auch ein Haus. Ich hörte, wie er auflachte und kurz darauf sagte: Wir haben da alle ein Haus. Und wir sind viele. Dann lachte er wieder.

Ich stellte mir vor, dass dem Arzt das Wort Dummschätzer jetzt nicht mehr aus dem Kopf gehen würde und ich dachte: Witzchen zu machen ist nicht das Mittel der Wahl, wenn man Hilfe in Anspruch nehmen möchte. Der Arzt redete nun auch für eine kurze Weile recht laut. Trotzdem konnte ich seine Worte nicht verstehen, denn seine Stimme hatte nicht diesen knödeligen, durchdringenden Körper wie Bubis.
War ja nur ein Witz, war das Letzte, was ich Bubi sagen hörte, deutlich verstand. Danach wurde seine Stimme leiser und leiser und mir blieb nur noch die Intonation seiner Stimme, um die Lage einschätzen zu können. Wie ich auch bei dem Arzt nichts als das zur Verfügung hatte. Aber es reichte, um zu wissen, dass es auf eine Ablehnung hinauslaufen würde.

Auf dem Stuhl sitzend, an dem Tisch, vor dieser Milchglasscheibe: wie in einer Herzblattshow kam ich mir vor. Gleich wird die Trennscheibe weggenommen und dann mal gucken, wie der ist, dieser Arzt, von dem ich bislang nur die Stimme kannte. Ich würde ihn anlächeln, in jedem Fall, auch wenn seine Entscheidung für die Ablehnung bereits gefallen war. Das Lächeln schonmal aufsetzen, es festfrieren im Vorfeld, damit es in meinem Gesicht nicht zu einer Entgleisung käme. Wenn man ein freundliches Gesicht anbietet, so dachte ich mir, erspart einem das die üblichen Phrasen, diese, die man aufgebrachten Leuten entgegenbringt: Ich verstehe Ihre Situation, nur ist es so, dass… Wir haben unsere Vorschriften, daran müssen wir uns halten und wir möchten Sie nun bitten…
Aber ich dachte auch, dass, wenn ich mein Gesicht in ein vielfältig zu interpretierendes Lächeln hüllte, es eventuell doch die Chance gäbe, eine Art Wurmloch zu finden, durch das ich vielleicht in die von mir bevorzugte Welt kommen könnte, in eine, wo ich Bubi in der Klinik abgeben würde. Mit anderen Worten: Ich hatte noch Hoffnung.
Und ähnlich wahrscheinlich wie in einer Herzblattshow –  also wie kurz vor Erscheinung der Person, die man dann lieben müssen würde, waren meine Gedanken vor der Lüftung des Schleiers ganz darauf konzentriert, wie sie denn aussähe, diese nicht wirklich aus freien Stücken von einem selbst ausgesuchte Person. Die Stimmlage des Arztes hatte mir gefallen, weil sie ruhig und sonor klang. Ich stellte mir einen großen Mann vor, einen abgeklärten. Einen, mit einer gewissen Schläppe, durch Alter und zu viel Arbeit hervorgerufen. Ich würde in diese Schläppe reinsteigen, dachte ich kurz. Frisch und munter würde ich dem Arzt entgegentreten (aber besser keine Witze auf Kosten von Bubi machen) und eventuell damit meinen Willen durchsetzen können. Oder ich würde auch einfach rekapitulieren, mich der Entscheidung dieses Arztes fügen. Wie man großen Onkels gerne alles glaubt und ganz zufrieden damit ist, ihr Weltbild, ihre Entscheidungen, anzunehmen. Einfach weil alles so selbstverständlich und gemütlich daherkommt, so überzeugend allwissend. Auch durch diese bestimmte Form von gutmütiger Erschöpfung.

Aber der Mann war anders. Er war vor allem sehr klein. Höchstens 1,55 m. Und er hatte auch gar keine ruhige, sonore Stimme, als er dann mit mir sprach. Vielleicht deswegen war seine Stimme plötzlich anders, dachte ich, weil auch er überrascht war, wer ihm da hinter der Milchglasscheibe präsentiert wurde (er wusste, dass die Frau des Alkoholikers dahinter wartete). Vielleicht konnte er Dargebotenes und Erwartetes nicht schnell genug in Einklang bringen und vernachlässigte im Zuge dessen die Kontrolle über seine Sprechart und Tonlage. Was genau er denn nun erwartete haben mag? Er scannte mich ab und sagte zunächst: Ich bin hier heute nur in Vertretung. Ich bin eigentlich schon in Rente. Aber ich habe hier 25 Jahre gearbeitet. Als ich nicht darauf antwortete, einfach schwieg und ihm Zeit gab, mich weiter anzugucken, sagte er: Ich möchte Sie nun bitten ihren Mann mit nachhause zu nehmen.  Während er das sagte, schaute ich zu der Aufnahmekraft, der jungen Frau, die hinter dem Arzt stand und die anfing Grimassen zu schneiden, nicht an mich und Bubi gerichtet, sondern in ihren eigenen Raum des Unwohlseins hinein.

KR

Fr 15.03.2024 20:03

Ich krieg nicht hin, was ich hinkriegen wollte. Wo kann ich die Schuld suchen? Vielleicht bei Klaus? Der mich dazu zwingt, nichts zu tun als ihm beim Telefonieren zuzuhören und ihm zu sagen, dass er alles gut macht? Ich sag‘s dir: Ein munterer Geist wird zu einem extrem stumpfen, wenn er in Hohlheit eingefroren wird.

Durch Zufall kommen ständig Perücken in meinen Besitz übrigens.

KR

Sa 16.03.24 22:23

Perrücken sind supersexy. Masken eigentlich noch mehr. Extrem. Auf jeden Fall solltest du eines Tages die Geschichte aufschreiben, wie vor langer Zeit eine Frau eine Wand in ihrer Wohnung rausgehauen hat um keine Geflüchteten aufnehmen zu müssen, in ihrer dann nicht mehr Mehrzimmer-Wohnung. 

Gestern, eine Lesung im hinteren Neukölln, Seitenstraße, kleines Ladengeschäft, ein Happening wo Freiwillige aus ihren alten Tagebüchern vorlesen, „Diary Slam“ aus kürzeren Episoden. Drei lasen öffentlichkeitswirksam aus Tagebüchern ihrer Teenagerzeit, also wo sie so 14 waren. Alle haben damals schrecklich gesoffen und auch geknutscht und riefen sichere Lacher ab mit lustigen Formulierungen. Der Macher des Ladens war früher in der Parallelklasse meiner lieben Begleitung und las auch aus jener Zeit, und wenn man die Leute aus den Geschichten persönlich kannte, damals, ist es bestimmt nochmal ganz anders. Eine andere las von vor einigen Jahren, Notizen in der Zettelsammlung ihrer Dissertation, der ganze Nervenkrieg, das war spannend und abwechslungsreich, und dann war da noch eine durchgestylte Berlin-Oma mit Selbstironie, die las aus dem Westberlin der 80er, da war sie vielleicht Mitte 20 und eine waschechte Tagediebin, Künstlerin, Drogen, Sex, Bulimie, eine von den vielen Szene-Ameisen, die die Nachtmaschine am Laufen halten. Damals, heute, immerdar, Treibstoff der Welt, Western von gestern. Das Ultraprivate des Tagebuchs gemixt mit Oral History. Es gibt nichts, was mehr Impact hat als die mündliche Direkt-Überlieferung des/der Erlebenden. Ich trank aus Plastebechern eine riesige Cola Rum für fünf Euro und dann noch eine Apfelschorle für Zweifünfzig, meine Begleitung einmal Cola einmal Apfelschorle. Um Elf war der Spaß vorbei. 

Hin und zurück, zweimal dieselbe Trash-Radtour durch diese lauten, dreckigen, grellen, düsteren Viertel, das war mir vorher gar nicht mehr so klar, Neukölln, Hermannplatz, Kreuzkölln, Kotti, Kreuzberg, an den 200 Metern Schlange vorm Kitkat vorbei und endlich wieder im verschlafenen Mitte ankommen. „Mit Fünfzehn stand sie (im Kitkat) auf der Bühne und hatte den Finger vom Chef hinten drin“. Eine kurze Charakterisierung, von irgendwem vor vielen Jahren vom Stapel gelassen. Das ist das was ich noch weiss / das was ich noch weiss / Ah / Trip / Meister Eder Aller. Ich will im Wald leben und mindestens zwei Kilometer laufen müssen bis ich die nächsten Menschen treffe.

Zwei Sachen: die eine war die aufziehende Wehmut, diese 15er Zeit voll getriggert, Saufen, Partys, Freunde, Geschwister, Schule, Familie, Haustiere, Sex, der ganze Mix. Blasts from the pasts. Die andere, dass ich von Jugendlichen heute dieselben Geschichten höre. In Echtzeit, anderes Datum, same but different (but same). Hier und da vielleicht einen Zacken schärfer, mehr Psychiatrie, aber wer würde diese Anteile, die es früher auch schon hatte (wurde vielleicht nicht so benannt), die ganze Angst, die Einsamkeit, die Leere, schon Fremden vorlesen? Die von gestern jedenfalls nicht. Lieber lustig sein, Entertainment und Seelenstrip light. Insofern war mir auch mein eigenes Privates (gefiltert) öffentlich, plus auf eine Art saß ich im Geiste auf Arbeit.

Ich setz mich mal hin, ob mir nicht doch das Passwort zu meinem Tagebuch Ende 90er /Anfang 2000er wieder einfällt. Ein bisschen was könnte ich doch auch vorlesen, nach zwei Cola Rum auf’s Haus, die Latte hängt in bequemer Höhe.

-pb

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So 17.03.2024 20:52

Neulich habe ich mit meinen Kinder beim Wochenendfrühstück eine Folge von Family Guy geguckt, wo es in der Hauptsache darum ging, wie sich alle Familienmitglieder immer schnell verdrücken, wenn die Mutter morgens am Frühstücktisch beginnt ihre Träume von der letzten Nacht zu erzählen. ‚Also wir waren da alle in unserem Haus, aber es sah irgendwie anders aus als unser Haus und es war auch eigentlich gar nicht unser Haus…‘. War ein Vorschlag von Thies, diese Folge beim Frühstücken zu gucken. Als die Folge zuende war, guckten wir uns an und Lollo sagte: Man kann das ja einfach weglassen, dieses ‚Es sah so aus, wie, aber war doch anders‘. Und dann erzählten wir uns unsere Träume aus der vergangenen Nacht, wie wir es immer tun, aber ohne diese Sorte von Erklärungen. Familiy Guy ist Bildungsfernsehen.

Vor ein paar Tagen saß ich mit Steffen und seinem Chef Tino beim Abendessen. Steffen und Tino wohnen Tür an Tür und haben fast so etwas wie eine Wohngemeinschaft. Ich habe gefragt, ob ich nicht mal mitkommen könnte, auf eine ihrer Lederjackenverkaufstouren, für eine Fotodokumentation. Ich hatte das Steffen schon mehrmals vorgeschlagen. Aber er ist ja nicht der Chef und sowieso selten begeistert, wenn man ihm seine Routinen durcheinanderbringt. Na, aber Tino fand die Idee spitze. Ja, mach das, komm mit und mach Fotos. Die beiden gehen allerdings nie gemeinsam auf Tour. So dass ich nun erstmal Steffen begleite, kurz nach Ostern, für zwei Tage (habe da Urlaub). Für eine wirklich gute Dokumentation bräuchte es natürlich mehrere Touren. Kann allerdings sein, dass diese Frühjahrsaison die letzte sein wird. Mal schauen.  
Arbeitstitel: Die letzten Lederjackenverkäufer in Ostdeutschland.

KR

So 17.03.24 22:05

Die letzte Tour, das Duo – „Import Export“ vom ewigkeitsähnlichen Ulrich Seidel, so viele Filme von ihm muss ich noch gucken, wie viele andere auch. „Paradies Liebe“ könntet ihr zusammen schauen?

-pb

Mo 18.03.2024 21:33

Ich hab nun zehn Tage face to face mit Klaus gearbeitet, ohne, dass es irgendwas für mich zu tun gab. Ich saß nur rum und hab ihm beim Reden zugehört. Normalerweise organisiere ich mir selbst etwas zum Arbeiten. Aber es gab einfach nichts bzw. Klaus mochte mich nichts machen lassen. Ich sollte ihm nur zuzuhören und ihm kurze Sätze der Zustimmung hinstreuen. ‚Ja, find ich auch‘, ‚Klar, warum nicht?!‘, ‚Bestimmt, das hast du völlig richtig entschieden!‘  Nicht anderes als das wollte er. Ich habe es getan, wie auf Knopfdruck. Es fiel mir nicht schwer und ich bekam auch kein Herzrasen mehr davon. Denn ich war ja ein Automat.

Heute. Wir gingen uns was zu Essen kaufen in der Mittagspause und ich hatte Klaus gebeten, nach seinem Einkauf im Wurstbasar VOR dem Supermarkt, wo ich mir was kaufen wollte, zu warten, anstatt mich bei meinem Einkauf zu begleiten. Ich brauchte ein paar Minuten Ruhe. Blieb er auch draußen stehen, ich ging rein, aber als ich in einer der sehr langen Schlangen vor den Kassen stand, tauchte er plötzlich neben mir auf und meinte: Hallo! Na, deine Schlange ist aber lang! Das dauert ja ewig!
Die anderen Schlange sind auch sehr lang, antwortete ich. Guckte er sich um und sagte: Wieso kriegen die das hier nicht besser hin?
Ist eben so hier.
Das ist aber blöd, meinte er. Da geht uns ja echt viel Zeit verloren. Die hängen wir dann heute hinten dran, sagte er und lachte kurz.
Weil ich mich ungerne in der Öffentlichkeit streite, schwieg ich. Klaus wurde etwas unruhig, blieb aber neben mir stehen. Dann zog er eine eingeschweisste Salami aus einem Regal und hielt sie mir direkt vors Gesicht. Salami, sagte er. Als ich auch darauf nicht antwortete, fragte er: Kaufst du mir die? Ich schnappte mir die Salami, schmiss sie in meinen Einkaufskorb und begann zu reden. Ohne Punkt und Komma. Ich redete darüber, dass die Schlangen in diesem Supermarkt wirklich immer so lang seien, auch morgens, wenn ich noch Knabberkram und Milch für ihn kaufen würde, und das dies bedeutete, dass ich mich immer schon eine Stunde vor Arbeitsbeginn auf den Weg machen würde, damit ich dann pünktlich im Atelier sei, auch, damit ich dort dann noch alles schön einrichten könne. Ich also immer dann, wenn wir in meinem Atelier arbeiten, sehr viel Zeit aufwenden würde, damit er den Ort mit Essen bestückt und aufgeräumt vorfände. Und dass es doch auch überhaupt total nett von mir sei, dass ich meinen privaten Ort als Arbeitsraum zur Verfügung stelle. Ich verlängerte alles mit weiteren detailreichen Beschreibungen über noch andere Großzügigkeiten und schloss dann damit, dass ich in der Mittagspause einfach mal fünf Minuten für mich alleine haben wolle. 
Ist ja gut, ist ja gut, meinte Klaus. Und ich sah, dass er Angst hatte vor einer weiteren Aufrechnerei meinerseits und er muss in diesem Moment wohl beschlossen haben, dass er sich dies Mal nicht wie üblich als Held des ‚Ich, ich tu alles für dich‘ darstellen könnte. Kurz wirkte er unschlüssig, dann sagte er: Ich geh mich mal ein bisschen umgucken im Sortiment.
Natürlich beobachtete ich ihn. Ich beobachtete ihn dabei, wie er vor Regalen stand, dies und das in die Hand nahm, es sorgfältig betrachtete, es zurücklegte und dann zu mir herüberschaute und ein Lächeln erwartete. Ich guckte ihn an, aber lächelte nicht. Schlussendlich sah ich ihn dann nur noch am Ende des ein und anderen Ganges auftauchen, wo er sich nur noch extrem kurz für bestimmte Artikel zu interessieren schien, bzw. es wirkte auf mich, als käme es ihm selbst überflüssig vor, seine Aussage ‚Ich guck mich mal um im Sortiment‘ zu verifizieren.
Und ja, es war irgendwie traurig für mich, ihn dabei zu beobachten, wie er ein Päckchen Zucker in die Hand nahm und es sogleich wieder zurück ins Regal stellte, und seine gespitzten Lippen dabei zu sehen, die mir verrieten, dass er dabei flötete. Wahrscheinlich wollte er einfach nur noch aus meinem Blickradius flüchten. Oder zumindest sah ich, wie er sich langsam Richtung Ausgang bewegte. Als ich dann endlich an der Kasse angekommen war, meinen Einkauf einpackte und darauf wartete meinen Bon zu bekommen, guckte ich noch ein letztes Mal zu ihm herüber und sah, wie er ein Netz Orangen hochhob. Aus einem dieser Körbe, die ja immer am Ein- bzw. Ausgang platziert sind. Und ich bekam Angst, dass er dieses Netz mit Orangen aus dem Stress, dem er sich durch meine Beobachtung unterworfen gefühlt haben mochte, einfach mitnehmen und somit als Ladendieb enden würde.

KR

Mi 20.03.2024 17:26

Warum ich eine Sinnkrise habe, muss ich wohl nicht weiter erläutern (und tue es bestimmt doch).

Gerade denke ich an einen Fotolehrbeauftragten, bei dem ich einen Kurs hatte im Studium. Der war ein wirklich guter Kerl und durchaus ein guter Lehrer. Er muss damals so ungefähr vierzig Jahre gewesen sein und hatte noch Ambitionen, aber auch schon viele Enttäuschungen erlebt. So hatte er zum Beispiel eine Galerie, die ihn unter Vertrag genommen hatte, aber die Galerie ist pleite gegangen und hat ihm seine Fotoarbeiten nicht zurückgegeben. Ich erinnere mich an seine sehr detailreiche Erzählung, wie er in der Linienstraße stand und in die Galerie reinwollte, um seine Fotos dort rauszuholen, und der Galerist vor seinen Augen einfach die Rollläden runterfahren ließ und noch kurz winkte. Seine Arbeiten hat er, wie erwähnt, nie zurückbekommen.
Dieser Lehrbeauftragte hatte in Düsseldorf Fotografie studiert. Und zwar bei den Bechers. Einige der Bescherstudent*innen sind sehr berühmt geworden. Zu nennen sind z.B. Thomas Ruff, Axel Hütte, Andreas Gursky und Candia Höfer. Und allen ist gemein, dass sie die Bechersche Art der Fotografie verfolgten: höchste technische Präzision, Sachlichkeit, Nüchternheit, Großformat. Der Lehrbeauftragte hatte das auch so getan, ist aber nicht berühmt geworden. Noch nicht mal zu halbwegs guten Ausstellungen wurde er eingeladen. Dabei machte er einen hirnrissigen technischen Aufwand. Arbeitete damals schon mit einer Vorform von Drohnen. Seine Arbeiten waren in keinerlei Hinsicht unter dem Niveau der berühmt gewordenen Leute. Aber da er nun nicht teilhaben konnte, kein Fotograf war, der seine Arbeiten in der Kunstwelt platzieren und verkaufen konnte, suchte er natürlich nach Erklärungen dafür. Es war ihm schon klar, dass es letztendlich nur um Glück und Pech ging. Sein Mißerfolg nicht unbedingt etwas mit seiner persönlichen noch der Art seiner Fotos zu tun hatte. Aber da er noch so sehr wollte, mitmischen wollte, es nur nie klappte, egal, was er tat, suchte er den Grund doch in seinem Charakter. ‚Ich bin eben kein Ellenbogentyp‘, ‚Ich bin nicht ausreichend überzeugt, von der Großartigkeit meiner Fotos‘. Und er versteifte sich mehr und mehr darauf, es als sein Schicksal zu sehen, für immer dazu verdammt zu sein, alles zu verstehen – die ganzen Mechanismen des Kunstbetriebs bis auf den Grund zu durchschauen, und trotzdem keine Arbeit abliefern zu können, die der Kunstmarkt annehmen würde. Er war komplett verfangen in der Analyse und konnte da nicht mehr herausfinden, obwohl er wusste, dass das schädlich ist, zu einem Teufelskreis führt.
Einmal sagte er: Tja, maximal 1% der Leute, die Kunst studiert haben, können damit ihr Leben finanzieren. Das ist eine gesetzte Zahl. Wird man halt Lehrer und hängt seine Fotos eben über das eigene Sofa und gut ist.
Schade eigentlich, dass wir Stundent*innen nie von erfolgeichen Künsterl*innen unterrichtet wurden. Ein einziger Scheitermoloch, dieser Ort. Einen Zwang zum Bleiben gab es natürlich nicht. 

KR

So 24.03.2024 21:45

Vor ein paar Tagen habe ich ganz schnell die dritte Staffel von ‚The Split‘ verschlungen. Läuft auf arte. Die ersten beiden Staffeln hatte ich vor einem Jahr geguckt. Ist eine britische Serie, in der es um eine Anwaltskanzlei für Familienrecht geht, die auf Scheidungen spezialisiert ist. In den Hauptrollen nur Frauen. Weswegen ich nun die 3. Staffel (6 Folgen à 50 Minuten) mehr oder weniger in einem Stück durchgeguckt habe, hatte recht wenig mit dem fraglos guten Plot und dem schauspielerischen Können der Darstellerinnen zu tun, sondern eigentlich nur damit, dass ich mir ihre Gesichter so gerne anguckte. Und zusätzlich, wie auch schon vor einem Jahr, war ich fasziniert von der Kleidung, die sie in ihren Rollen tragen. Im Ernst. Diese Blusen und Röcke, Kleider und hochhackigen Schuhe. Und auch wie sie geschminkt sind, zog mich wieder mal in den Bann. Alles so dezent schimmernd. Luxeriös, doch aber bodenständig. Eine cremig-seidene Welt, mit hier und da kleinen Macken. Aber wer, also in echt, trägt schon diese Art von Kleidern oder gar Schluppenblusen? Und ein vollständiges Make-up mit Rouge, wenn auch, dem Plot geschuldet, mal leicht verschmiert. Nun, Fernsehen, dachte ich da noch.

Gestern war ich mit Steffen auf einem Geburtstag, draußen auf dem Dorf, nahe des Deisters. Ein mit ihm befreundetes Paar hatte eingeladen, zum Geburtstag. Der Mann, Steffens Kumpel, feierte seinen 55. oder 56. Steffen wusste es nicht so genau. Auch nicht, ob es sich um eine Nachfeier handelte oder der Geburtstag genau an dem Tag war. 
Vor einem Jahr hatte mich Steffen schonmal mit zu den beiden genommen, da hatten sie Steffen zum Essen eingeladen und gesagt, dass ich auch mitkommen solle. War ein Abend zu viert gewesen.
Der Mann, Claas heißt er, ist auch Steffens Steuerberater. Seine Frau heißt Tina. Die beiden sind seit 15 Jahren zusammen und seit zehn Jahren verheiratet. Beide waren vorher schonmal verheiratet und Tina hat ein Kind aus ihrer ersten Ehe – Claas hat keins. Tina arbeitet in Claas‘ Büro, als Quereinsteigerin. Vorher hat sie in der Hotelbranche gearbeitet und als Eventveranstalterin. Laut Steffen sind die beiden reich. Oder Class ist reich und Tina, weil sie mit ihm verheiratet ist. Ihr Haus ist aber wenig mondän. Ein Bau aus den 60-er Jahren, nicht üppig von der Quadratmeterzahl. Die Einrichtung eher gewöhnlich und die Zimmer insgesamt etwas überdekoriert (auf dem Gästeklo ein Setzkasten bestückt mit Parfum-Miniaturen. Das Klopapier: 5-lagig). Das Haus sitzt eng an weiteren Häusern gleicher Bauart und dort wohnt die gesamte Verwandtschaft. Die Verwandtschaft von Claas. Seine Eltern, Geschwister, Neffen und Nichten (und alle haben Hunde).

Steffen hatte mich gestern vorweg über die zu erwartende Geschlechteraufteilung informiert. Und zwar so: Komm nicht mit, wenn du ein Problem damit hast, wenn die Männer Dart spielen und Fußball gucken und die Frauen getrennt davon am Tisch sitzen.
Und tatsächlich. Die Männer haben gedartet und Fußball geguckt, standen an Stehtischen und die Frauen saßen an einen großen Tisch und blieben genau dort sitzen, wo sie am Anfang Platz genommen hatten. Standen auch nur auf, wenn sie sich etwas vom Buffet holten oder zur Toilette mussten, und setzten sich danach wieder zurück auf ihren Stuhl.
Allein Roswita (die Frau von Steffens Chef Tino) und ich gesellten uns ab und zu mal zu den Männern, oder gingen nach draußen, um zu rauchen. Die Gastgeberin lief natürlich auch herum. Um Gläser aufzufüllen, das Buffet neu zu bestücken und, um nacheinander mit allen anwesenden Frauen in ein kurzes Einzelgespräch zu gehen. Ein gemeinsames Gespräch unter uns Frauen war nämlich gar nicht möglich, weil die Männer so laut waren. Ganz am Anfang hatte ich noch versucht, mit einer Frau, die mir gegenüber saß, in eine Unterhaltung zu kommen, musste aber schnell aufgeben, weil Tino innerhalb kürzester Zeit sein drittes Bier intus hatte und so laut redete, dass sich die anderen Männer anpassten und einen Pegel verursachten, gegen den wir Frauen nur hätten ankreischen können. Und welche Frau lässt sich schon gerne sagen, ihre Stimme klänge schrill. Also verstummten die Frauen nach und nach, und gingen dazu über, ihren Sitzanachbarinnen in die Ohren zu flüstern. Aber keine meiner beiden Sitznachbarinnen flüsterte mir etwas ins Ohr, so dass mir ab einem bestimmtem Zeitpunkt der Satz ‚Flüstern ist Lügen‘ einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte, weswegen ich dann auch mal zu den Männern rüberging.

Vielleicht wäre es besser gewesen, hätte es für diese Feier jeweils einen Raum für die Frauen und einen für die Männer gegeben. Aber in der unteren Etage des Hauses müssen irgendwann mal Wände entfernt worden sein. Auf jeden Fall bilden Küche, Esszimmer und Wohnzimmer einen einzigen Raum. Den Raum, in dem gefeiert wird. Von diesem einen großen Raum gelangt man auch nach draußen, auf die Terrasse. Die aber nicht auf der selben Ebene liegt, sondern man muss eine kleine Treppe hinabsteigen, um dorthin zu gelangen.
Kurz bevor die Sonne unterging, stand ich mit Roswita auf diesem Treppenabsatz. Wir rauchten eine Zigarette. Von dort oben hat man einen freien Blick, kann über die Hecken gucken, die die Terrasse einsäumen, und schaut auf eine riesige Rasenfläche, auf der mittig ein einzelner großer Baum steht. Hinter der Rasenfläche die weitläufigen Felder, und dahinter, am Horizont, der Deister. Es gibt in dem Garten auch einen Swimming- und einen Whirlpool, aber die liegen versteckt hinter diesen Tujahecken, mit denen die Terrasse umpflanzt ist.
Und auch wenn das erstmal alles ganz gut klingen mag, so wird dieser Ausblick von dem Treppenabsatz doch getrübt, sobald man seinen Kopf nur ein wenig nach rechts oder links wendet. Denn dann erblickt man nichts anderes als die sehr nah gelegenen Wände der Nachbarhäuser und deren einheitlich grau eingedeckte Dächer.
Ein schöner Blick ist was anderes, meinte Roswita, als wir den Rauch unserer Kippen in die kalte Frühlingsluft bliesen und zusahen, wie der Rasenmäherrobotor in der Ferne seine Runden zog.
Das tat er übrigens auch noch ein paar Stunden später, als ich dort alleine meine letzte Zigarette rauchte – beschienen vom Vollmond, ergab das aber doch einen überaus idyllischen Anblick.

Um noch einen Bogen zu dem Anfang meiner Mail zu schlagen: Die Frauen waren zwar nicht so gegekleidet und geschminkt wie die in der erwähnten Serie – nicht ganz so distinguiert wirkten sie, ganz allgemein. Aber ebenso exotisch, fremd und bewundernswert erschienen sie mir. Sie trugen fein-flattrige Kleider, in Form gebracht durch dünne Gürtelchen in der Taille. Hatten schön geföhnte Haare, und das Make-up ihrer Augen schillerte in den wunderbarsten Farben. Ganz dezent allerdings ihr Schmuck. Sie trugen, ausnahmslos, schmale Halsketten mit filigranen Anhängern, die auf ihren flach-knöchrigen Brustkörben ruhten. Ich fand diese Frauen alle wunderschön und konnte gar nicht damit aufhören sie anzustarren.
Die Gastgeberin die einzig füllige Frau übrigens. Sie trug auch kein Kleid, sondern ein Oberteil in Form einer Tunika, so weit ausgeschnitten, dass man sehen konnte, wie der Anhänger ihrer Kette, ein riesiger grüner Klunker, in der Falte zwischen ihren großen Brüste eingeklemmt wurde. Und auch das gefiel mir.

Kurz bevor Steffen und ich die Feier verließen, stellte sich die Gastgeberin hinter mich und legte ihre Hände auf meinen Nacken. Ich saß auf einem Stuhl, an dem Frauentisch, und als sie sich ein wenig zu mir herabbeugte und ich meinen Kopf zu ihr umwandte, schlug mir der Anhänger ihrer Kette gegen die Stirn.
Hast du dich wohlgefühlt, heute Abend? fragte sie, während sie sich wieder aufrichtete und begann, mir den Nacken zu massieren.
Ich habe mich sehr gut unterhalten, sagte ich nach einer Zeit des Überlegens – schon ein wenig beschlichen von einem leichten Unwohlsein unter ihren mich immer fester massierenden Händen.
Ich hab dich immer nur lachen gehört, sagte sie und massierte mich weiter. Ohne mir Zeit für eine Antwort zu geben, fügte sie an: Ich und meine Mädels, wir treffen uns regelmäßig zum Pokern. Wenn du magst, komm doch auch mal dazu.
Als ich meinte, ich könne nicht Pokern, wüsste nicht, wie das geht, erwiderte sie: Wenn du Kniffel kennst, kannst du auch Poker spielen. Es ist ganz einfach. Auch wenn die Männer immer das Gegenteil behaupten. Aber, fuhr sie fort und kniff mir dabei abschließend ganz kräftig in den Nacken, beugte sich dann nochmal zu mir herunter – und dies Mal schlug ihr Anhänger gegen mein Ohr, da ich meinen Kopf wie paralysiert geradeaus gerichtet hielt: Die tun ja immer so, als bräuchte man für die einfachsten Sachen jahrelange Erfahrung. Oder irgendein Geheimwissen.

Kurz darauf kam das Uber, das Steffen bestellt hatte. Wir verabschiedeten uns und verließen das Haus, ohne Roswita und Tino, mit denen wir uns auf dem Hinweg ein Uber geteilt hatten. Ist besser so, meinte Steffen. Denn die beiden würden sich zum Ende einer Feier meist streiten und dann zwei Uber bestellen, und dann wüsste man immer nicht, mit wem man sich solidarisch stellen, also mitfahren solle.

KR

Di 26.03.24 08:55

In der überbetrieblichen Ausbildung war einer, der war etwas übergewichtig, ein herzensfreundlicher, bischen tumb wirkender Geselle (naja Lehrling um genau zu sein, ha ha), er war wirklich total nett, der hieß (XXX). Und weil es so lustig war, dauerte es nicht lange und sein Spitzname war Arnull Blöd. Fies. Kann man auch prima durch die Werkhalle rufen, vor allen anderen, „ARNULL!!!“, es war so gemein. Überhaupt, wo es heute so viel um Mobbing, Opfer und die armen Kleinen geht, muss ich erkennen, dass ich wohl überwiegend einer von DEN ANDEREN war, natürlich (natürlich) auch selber Opfer meines familiären Scheiße-Biotops und irgendwo musste es ja raus, aber das ist heute bei den anderen Arschlöchern auch nicht anders und keine Entschuldigung. Wenn mir sowas also in den Sinn kommt, dann werde ich immer traurig, möchte zurück und mich entschuldigen, zum Beispiel Arnull Blöd umarmen weil ich so gemein zu ihm war, so schmerzhaft gewalttätig, und weil das aber nicht geht komme ich auf die Idee, in der Kirche zu beichten. Repent, Sinner! Was aber wieder nur mir selber nützt, pure Seelenmassage für mich und Arnull hat da gar nichts von. Sich im Sozialen heute für die anderen, always for the better, einsetzen ist natürlich auch so eine Art Frondienst für die Übeltaten der Vergangenheit. Schuldgefühle, und gleichzeitig kommt auch wieder rein, was kann ich denn dafür, dass mir keiner zugehört hat und der Überdruck irgendwo hin musste, ES IST DOCH NICHT MEINE SCHULD wie es lief. Ach, es ist verzwickt.

So also, Budapest. Die Fliegerei, warten warten, so ein ganzes Getümmel, so bin ich eingerostet was das alles angeht. Es ist so geil hier, man verliebt sich direkt, der ganze Decay überall, liegengelassener Restbarock, Jugendstil, Artdeco, die Zeitkapsel, wie öfter bei Reisen in Dritte-Welt-Länder wo unfreiwillig die Zeit stehen geblieben ist, allein schon die halbe Stunde im Bus vom Flughafen, durch halb moderne Mischbesiedelung (Bosch! DHL! Rossmann!) mit hier und da dem typischen geilen Sozialismusbeton. Hier in Budapest sind wir im Jüdischen Viertel und warum es ugs. noch so heisst weiss keiner, vielleicht will das Unaussprechliche einen dauernden Reminder. Zentrale Wohnung, gleich hinter der Synagoge. Die Wohnung riesig in dem alten Altbau, bombastisch groß gebaut wurde hier mal, im 18. und 19. Jahrhundert, und dass das alles immer noch steht hat mich irgendwie an Kuba erinnert, XXL und abbruchreif. Ob Airbnb hier noch Gutes bringt, oder die vielen umgewidmeten Wohnungen eigentlich auch nur noch als dissoziale, wohnungsraubende Krebsgeschwüre in einer überlaufenen Stadt ausgemerzt werden müssten, wie in Berlin? Feiermeile auch, und trotzdem ich in Städteurlaub eigentlich keinen tieferen Sinn finde – wie schon gesagt, es geht rein. Die übermodernen Sirenen der nagelneuen Polizeiautos dazwischen, eine Mischung wie vom anderen Planeten. Essen waren wir dann beim Bangladeshi, auch hier Originaltreue, Neonlicht, Plastikdecken über den Tischdecken, viel zu dünne Fusselpapier Servietten, Trinken direkt aus dem Kühlschrank, könnten wir vielleicht Gläser bekommen, klar, sofort. Bei indischen Restaurants keineswegs selbstverständlich, hatten die verschiedenen Gerichte tatsächlich unterscheidbare Würzungen, neben dem, dass es wirklich sehr lecker war.

Irgendwie lese ich überall, dass in den kommenden Jahrzehnten massiver Bevölkerungsrückgang ansteht, Überalterung, Geburtenschwäche allerorten. Dann sind die Städte wieder leer, die Schulen haben die passende Größe, bis dann im weiteren Verlauf andere kommen und die leeren Räume mit neuem Leben füllen, und das hört sich alles so gut an. Leider sind wir selber, ganz persönlich, dann schon transformiert in Wellen oder Teilchen, Energie oder Materie im ewigen Kosmos ohne davor und danach, schade eigentlich, aber ich glaube das wird auch ohne mich geil.

-pb

Di 26.03.2024 19:53

Ach, ihr seid in Budapest! Erzähls rum und dann wird schon irgendwer fragen: Ward ihr denn in Buda oder in Pest? Klaus hat übrigens in Buda studiert. Und hat, laut seiner eigenen Aussage, dort jedes Wochenende mit einer anderen Frau geknutscht. Aber die kamen alle aus Pest, sagt er, wenn er davon erzählt, und lacht spätestens dann, wenn er noch angefügt hat, dass sie wie die Pest gewesen seien. Weil sie an ihm dranklebten. Heißt es nicht ‚Jemand klebt an mir wie Pech‘, frage ich ihn dann stets. Aber er liebt seine Wortspielerein so sehr, dass er den Fehler darin einfach immer wieder vergisst. Wie er auch einfach zu vergessen scheint, dass er die Story schon ganz viele Male erzählt hat. Und er erklärt seinen Erfolg bei den Pester Frauen heute noch damit, dass sie einfach seine charmante Art mochten. Aber gut aussehen tat ich ja auch, fügt er ein aufs andere mal hinzu. Und ich muss nie lange warten, bis er mich dann noch fragt: Ich seh doch immer noch gut aus, oder?

Machen wir das nicht alle: abgeschickte Mails nochmal durchlesen? Ich denke ja. Aber wie es mich quält, Klaus dabei beobachten zu müssen, wenn und vor allem wie er das tut: er sogar beim vierten und fünften Durchlesen seiner abgeschickten Mails nicht an sich halten kann und wie ein Schauspieler, der ein Drehbuch durchgeht, alles mit Gesten versieht. Er ist dann ganz bei sich selbst, durchlebt seine geschriebenen Worte, testet sie auf Wirksamkeit, indem er sie durchschauspielert, so, als säße ihm die angeschriebene Person gegenüber. Es könnte eine großartige Aufführung sein, wenn er sie denn bewusst für ein Publikum aufführte. Oder immerhin bemerkte, dass ich vor ihm sitze. Aber so ist es nicht. Schade eigentlich. Transformiert er seine Wellen und Teilchen nur in seinen ganz eigenen Kosmos.

Als ich eben zur Toilette ging, dachte ich auf dem Hinweg darüber nach, dass es meist was bringt, wenn man Leuten deutlich sagt, was man von ihnen haben will. Auf dem Rückweg dachte ich darüber nach, dass ich wirklich gerne Rundfunkgebühr bezahle. Jedenfalls, seitdem ich das Podcastangebot der Öffentlich-Rechtlichen in Anspruch nehme. Die anders sind als die Podcasts der Leute, die sich den Begriff ausgedacht haben.
Die Podcastmoderator*innen der Öffentlich-Rechtlichen haben alle eine Sprecherausbildung, können sich potente Gesprächspartner*innen einladen und müssen keine Werbung dazwischenschalten. Sie lachen und kichern auch deutlich weniger als ihre Kolleginnenn aus dem privaten Sektor. Was ich angenehm finde. Und obwohl ich diese Podcasts dennoch meist nur als Einschlafhilfe benutze, bemerke ich, dass sie gut sind: die Themen bestens aufbereitet, alles so interessant… So dass es einen eigentlich eher vom Einschlafen abhalten müsste. Aber gib mir eine gute Stimme und ich schlafe ein. Ich denke dann meist noch: Aber das musst du dir demnächst nochmal tagsüber anhören. Tu ich nie und zurück bleibt nur die Erinnerung an das Thema und vielleicht noch die ein oder andere Aussage. Also wenn ich tags darauf irgendwem davon erzählen will, muss ich feststellen, dass ich noch nicht mal ansatzweise wiedergeben kann, worum es eigentlich ging. So kann ich dir z.B. jetzt auch nur sagen, dass der Podcast, den ich gestern hörte, darum ging…Warte, ich muss kurz nachgucken, wie der Titel war. ’Das Leistungsdenken zersetzt unsere Gesellschaft‘. Oh je, das klingt ja grauenhaft. Der eingeladene Mann meinte, dass…. Ich weiß aber, dass ich seiner Meinung war. Und ich erinnere mich auch noch daran, dass ich dachte: Siehste, das sag ich doch schon seit Jahren! Konkret ging wohl um die Bezahlung von Jobs. Wer kriegt wie viel für was. Und dass es eben nicht unter der Kontrolle des Einzelnen liegt, wo er*sie jobtechnisch landet. Und ich weiß noch, dass ich noch kurz darüber nachdachte, wie ich wirklich nicht der Meinung meines ehemaligen Therapeuten bin, der da meinte, dass der Putzkraft weniger Gehalt zustünde, weil sie ja keine lange Ausbildungszeit absolvieren musste (so wie er selbst).
Wie du weißt, kann ich mich ewig über Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt aufregen. Und habe mir auch oft sehr konkrete Gedanken darüber gemacht, was Verbesserungen angeht. Ich denke ja immer noch, z.B., dass es falsch ist, wenn Arbeitnehmer*innen trotz Vollzeitarbeit (oder Teilzeit wenn sie noch Kinder oder sonstwen betreuen), Zuschüsse beantragen müssen (mit Bürgergeld aufstocken). Es sollten die Arbeitgeber*innen sein, die Zuschüsse beantragen – für die Lohnkosten, wenn sie diese denn nicht aufbringen können. Sie sollten Bedürftigkeit nachweisen. Aber wie heißt es in ‚Die unendliche Geschichte‘?: Das ist eine andere Geschichte und wird ein andernmal erzählt.

KR

Fr 29.03.24 17:03

„Sagen Sie mir nicht, was nicht geht! (was grade scheiße ist und alles schlecht läuft), sagen Sie mir was geht! (wo es hingehen soll, was klappen kann, was will ich eigentlich lieber als was ich grade habe).“

„Wenn man nichts (ganz praktisch und wirklich) ändert, ändert sich (in Wirklichkeit) nichts.“

Was nützt die Liebe in Gedanken.

Einer sang in der Budapester Fußgängerzone ein Lied mit sehr repetitivem Refrain, „Hakuna Matata“, das kam zigmal hintereinander, wahrscheinlich war es textlich irgendwas unglaublich Zynisches, dachte ich mir, so traurig und wehmütig wie der das runterleierte, er war ziemlich jung und sah schon nicht mehr wirklich gut aus. Die harte Schule des Straßenmusikers, dachte ich, und repeating chorus is not a crime, natürlich, danach hatte ich den Ohrwurm (danke dafür) und Hakuna Matata wurde mein geflügeltes Wort für die Tage. In angespannten Paarmomenten, also kurz bevor es richtig verhärtet und keine:r mehr einen Millimeter zurück weicht, da kriege ich die Frau manchmal mit in Arm nehmen, bischen hin und her wiegen als würden wir grade gemeinsam davon träumen zu tanzen, eigentlich mach ich dann immer leise Juju wie Schuschu mit einem sehr weichen Sch, das ist in der Mischung natürlich völlig grotesk und viel zu viel (im Ernst würde ja niemand auf die Idee kommen), hat auch bisschen was konträres, wie zum Beispiel Sport Iris in den Arm nimmt und sagt, du bist ein bisschen gestresst, in der Synchronisation mit sehr scharfem S, aber es ist eben auch schön und warm und dann können wir lachen, es wird weicher und kann weitergehen, Grabenkrieg vermieden, also um auf den Punkt zu kommen verwendete ich nach unserem Bummel durch die Fußgängerzone statt Juju lieber diesen Singsang, und das war dann doppelt lustig weil sie hatte es natürlich auch nicht überhören können, in der Fußgängerzone. Hakuna Matata.

Womit wir wieder bei Ulrich Seidel wären und seinem Paradies Liebe, und wenn eine:r denkt er oder sie kann nach diesem Film noch „Hakuna Matata“ hören oder sagen und es ohne Hintergedanken auch so meinen, der:die lügt sich selber in die Tasche.

„Ausgestresst“ ist wundervoll.

Die Lösung vieler Probleme wäre die Abschaffung von Privatbesitz. Klingt wie aus der ultralinken Mottenkiste, wer denkt denn sowas, aber im Grunde liegt hier seit langem die Lösung auf der Hand. Jede:r auf der Welt hat mehr, als er oder sie zum Leben braucht, hat Zeit, kann reisen und sich verarzten lassen wenn es nötig ist. Dazu Geburtenkontrolle, nicht hin zu einer unendlichen Zahl auf endlichem Raum (was, man ahnt es bereits, sowieso nicht gutgehen kann). Das ist einfach umzusetzen. Geld ist sowieso genug da, wo doch die Wertschöpfung immer effektiver wird. Die weltweite Energieversorgung mit Erneuerbaren innerhalb einer Generation, da ist die Technik längst nicht mehr das Problem, da geht es um die Kontostände. Und wie man am Ende des Lebens ja auch nichts mitnehmen kann, das Totenhemd hat keine Taschen, Sterben tun wir alle mit dem nackten Arsch, so braucht man auch in der Zeit davor nichts, was einem gehört. Es gibt ja genug. Was man tut, das tut man eh nicht für Geld, sondern weil es einen zufrieden macht. Und der:die eine ist eben zufrieden mit Slacking und der:die andere hat den Hunger, sich immer weiter zu entwickeln, etwas zu schaffen, zu erschaffen. Who cares the fuck. Die Zufriedenheit kommt woanders her, nicht aus dem Geld. Vielleicht dann, wenn man von Armut traumatisiert war, aber da kann geholfen werden. Und dieselben Turnschuhe, die hier 150 kosten, kosten auf der anderen Seite der Welt nur Zehn und es ist immer noch alles bezahlt und halten tun sie auch nicht kürzer.

Mit dieser Abschaffung wäre so einiges geholfen. Es wird natürlich nicht passieren, weil die Menschheit dumm wie Scheisse ist. Über die Jahrhunderte wird zwar anscheinend alles zum Besseren mit vielen Aufs und Abs (vgl hierzu das Positivity-Opus „Im Grunde Gut“), aber wird das noch rechtzeitig sein Werk tun?

Wenn man ihnen mehr Geld geben würde, dann hätten die Armen keine Motiviation mehr. Wenn man ihnen nicht immer mehr Geld geben würde, dann hätten die Reichen keine Motivation mehr.

Was immer rauskommt bei halbherzigen Versuchen, sowas umzusetzen, sind innenverfaulte pretending-to-be Systeme, die im Grunde die Hierarchie und das systemimmanente von-unten-nach-oben-fließen der Wertschöpfung nicht abstellen (inklusive Ausdörren des unteren Bereichs), und dann heisst es immer, siehste funktioniert doch nicht. Also warten wir weiter auf die zufällige Mutation des Gier-Gens.

-pb